Die Knochenleserin
gegen einen Baum gelehnt. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Nichts.
»Bill wurde in den Kopf geschossen, Lenny in den Hals«, sagte Pete. »Nachdem er sie getötet hatte, hat er sie so hingesetzt und ihnen dann Holzpflöcke ins Herz getrieben, mit denen er diese Botschaften auf ihrer Brust befestigt hat.« Er musste schwer schlucken. »Dieses Schwein.«
Joe konnte die mit Blut bespritzten Zettel sehen, aber er stand zu weit weg, um den Text lesen zu können. Er musste näher herangehen. Er wollte keinen Schaden am Tatort anrichten, auf dem allerdings schon ein Dutzend Leute herumtrampelten. Er musste sich einfach möglichst vorsichtig bewegen.
Er ging auf die Opfer zu. »Steht auf beiden Zetteln dasselbe?«
»Ja.« Pete folgte ihnen.
Joe hockte sich vor die toten Männer hin. »Geben Sie mir Ihre Taschenlampe.«
Er richtete den Lichtstrahl auf einen der blutbespritzten Zettel. Die Tinte war teilweise verlaufen und verschmiert, doch die Buchstaben ließen sich noch entziffern. Es schienen drei Wörter zu sein. Das erste begann mit einem F.
Er erstarrte.
Für dich, Eve.
3
K urz bevor sie in Atlanta ihr Flugzeug bestieg, erhielt Eve endlich einen Anruf von Joe. Sie war zutiefst erleichtert, aber auch ärgerlich. »Warum zum Teufel hast du mir nichts davon gesagt, dass du Kistle ausfindig gemacht hast?«
»Ich nehme an, dass Jane dir mittlerweile meine Gründe genannt hat. Meine Antwort wird dir nicht gefallen. Ich habe getan, wovon ich dachte, es wäre das Beste für dich.«
»Hör auf, mich wie ein rohes Ei zu behandeln, Joe. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich das nicht will, wenn es um Bonnie geht?«
»Ich kann nicht anders«, erwiderte er schlicht. »Ich werde nicht einfach zusehen, wie du unnötig verletzt wirst.«
Sie empfand eine Mischung aus Zuneigung und Frustration. »Joe, es war falsch. Ich muss –« Sie unterbrach sich. Herumstreiten führte zu nichts. »Haben sie Kistle schon gefasst?«
»Nein, der Bursche muss sich verdammt gut in Wäldern auskennen. Er mischt die gesamte Polizei auf.«
»Vielleicht ist er ja gar nicht im Wald. Könnte er nicht über eine andere Straße oder über einen Highway entkommen sein?«
»Vielleicht. Überall um den Wald herum sind Wachen postiert, aber denen könnte er wahrscheinlich ausweichen, wenn er wollte.«
In Joes Stimme lag ein Ton, den Eve gut kannte. »Aber du glaubst nicht, dass er den Wald verlassen hat, stimmt’s?«
»Nein. Ich nehme an, dafür macht ihm das viel zu viel Spaß.«
»Spaß? Mit all den Deputies auf den Fersen?«
»Dodsworth hat mir gesagt, dass Kistle dich angerufen hat. Welchen Eindruck hat er auf dich gemacht?«
Sie war wie ein brennender Pfeil in der Dunkelheit.
»Durch und durch böse.« Sie musste ihren Schmerz verdrängen, um klar denken zu können. »Er wirkte ziemlich aufgedreht, beinahe glücklich. Einerseits war er wütend darüber, dass du Jedroth auf ihn angesetzt hattest, aber er schien seiner selbst sehr sicher zu sein. Er meinte, er sei froh, dass ich in sein Leben zurückgekehrt sei.«
»Hat er zugegeben, dass er Bonnie getötet hat?«
»Nein, nicht direkt. Aber er wusste, was sie anhatte an dem Tag, als sie verschwand, und er redete von ihr irgendwie mit einer entsetzlichen … Vertrautheit. Und er sagte, er hätte nach Bonnie noch weitere Mädchen getötet.« Eves Flug wurde aufgerufen. »Jane und ich steigen gerade ins Flugzeug.«
»Nein«, sagte Joe schroff. »Verdammt. Bleibt, wo ihr seid.«
»Auf keinen Fall.« Sie stand auf. »In vier Stunden, Joe. Bis später.« Sie beendete das Gespräch und schaltete ihr Handy ab.
»Haben sie Kistle immer noch nicht geschnappt?«, fragte Jane und nahm ihre Reisetasche.
Eve schüttelte den Kopf. »Aber Joe geht nicht davon aus, dass er den Wald verlassen hat.« Sie runzelte die Stirn. »Und irgendwas war komisch an dem, wie Joe geredet hat … Er verheimlicht mir etwas.« Sie steuerte den Flugsteig an. »Aber das finde ich heraus, verlass dich drauf.«
»Kommt sie?«, fragte Dodsworth, als Joe aufgelegt hatte. »Gut. Ich muss ihr ein paar Fragen stellen. In welcher Beziehung steht sie überhaupt zu diesem Wahnsinnigen, dass er zwei anständige Leute umbringt, um ihr eine Freude zu machen?«
»In einer Opferbeziehung«, erwiderte Joe. »Es geht ihm nicht darum, ihr eine Freude zu machen, sondern ihr Schmerzen zuzufügen. Jeder, der Eve kennt, weiß, dass ihr Lebensinhalt darin besteht, Mörder fangen zu helfen und Leben zu retten.
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