Die Knochenleserin
besessen hinter dir her war, wie Montalvo meint, könnte es auch in irgendeiner Zeitung gestanden haben, die nicht hier in der Stadt erschienen ist.«
»Glaubst du, Kistle hat geblufft? Glaubst du, er hat den Mann getötet, den er hinter sich im Gebüsch gehört hat?«
»Wer weiß das schon?«, erwiderte Joe. »Ich würde sagen, er hat geblufft, aber es ist schwer zu sagen. Und hier laufen so viele Männer herum, dass man unmöglich wissen kann, wen er aufs Korn nimmt. Es hat keinen Zweck, sich nach dem potentiellen Opfer auf die Suche zu machen.«
»Dann müssen wir einfach abwarten.« Ihre Hände umklammerten das Telefon. »Es macht mich wahnsinnig, Joe. Ich hab es satt, hier herumzusitzen und Däumchen zu drehen. Ich will irgendetwas tun. « Sie holte tief Luft. »Er will, dass ich komme. Deshalb hat er mich angerufen. Es langweilt ihn, mich nur von weitem zu belästigen.«
Joe fluchte. »Ich hab’s geahnt. Nein. Verdammt noch mal, nein. Wenn er will, dass du zu ihm rauskommst, ist das ein Grund mehr, zu bleiben, wo du bist.«
»Erst wolltest du, dass ich in Atlanta bleibe, jetzt willst du, dass ich im Hotel bleibe. Du engst mich der Sicherheit wegen ein. Kistle ist meine Angelegenheit, Joe. Wenn er mich im Wald haben will, dann wird meine Anwesenheit dort es leichter machen, ihm eine Falle zu stellen.«
»Und leichter, dich zu töten«, erwiderte er schroff. »Ich werde nicht zulassen, dass er dir auch einen Holzpflock ins Herz jagt. Du wirst nur im Weg herumstehen. Du hast bekommen, was du wolltest. Bis morgen früh wird es hier von Cassidys Agenten nur so wimmeln. Lass sie ihre Arbeit tun. Lass mich meine Arbeit tun.«
Sie überlegte. »Ich werde noch eine Weile abwarten, solange er keinen weiteren Mann tötet. Aber nicht mehr lange, Joe. Er will mich haben, und bei Gott, ich will seinen Kopf.« Sie legte auf.
Cassidy traf am nächsten Morgen um halb sechs ziemlich schlecht gelaunt in der Einsatzzentrale ein. Er kam sofort zu Joe. »Okay, bringen wir’s hinter uns. Ich habe ein Spurensicherungsteam zu der Fundstelle geschickt und Agenten aus Atlanta und Chicago angefordert. Die müssten gegen Mittag hier sein. Welche Bereiche haben Sie bereits abgesucht?«
Joe schüttelte den Kopf. »Er ist ständig in Bewegung. Auf diese Weise werden Sie ihn nicht aufspüren.«
»Haben Sie Hunde eingesetzt?«
»Am zweiten Tag. Ohne Ergebnis. Er hat Eichhörnchen getötet und falsche Blutspuren gelegt. Die Hunde waren völlig irritiert.«
»Ich habe die Spurensucher aus North Carolina angefordert, die an der Rudolph-Operation beteiligt waren.«
»Gut.« Joe rieb sich den Nacken. Gott, war er müde. »Aber die haben Rudolph nicht gefunden, stimmt’s?«
»Das war eine unmögliche Operation«, entgegnete Cassidy ungehalten. »Sparen Sie sich das, Quinn.«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich will Ihnen nur sagen, dass Sie mit denselben Problemen rechnen müssen.« Er sah Cassidy in die Augen. »Und ich glaube, Sie wissen das, sonst hätten Sie nicht den vernünftigen Entschluss gefasst, nach St. Louis zurückzukehren. Jetzt hat man Sie dazu verdonnert, mit uns zusammenzuarbeiten, aber Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass das kein leichtes Spiel wird.« Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen. »Ich werde jetzt erst mal duschen und frühstücken und dann mindestens vier Stunden schlafen. Dodsworth ist ein zuverlässiger Mann, und Sie werden feststellen, dass Deputy Pete Shaw intelligent und lernwillig ist. Treten Sie ihm nicht auf die Füße. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen.«
Als er in den Wagen stieg, sah er Montalvo aus dem Wald kommen. Er war durchnässt und verdreckt und wirkte so erschöpft, wie Joe sich fühlte. Joe hatte ihn in den vergangenen Tagen immer wieder kommen und gehen sehen. Logischerweise hatten sie nicht mehr als einen Blick und ein knappes Nicken gewechselt. Heute jedoch, nach dem Gespräch mit Cassidy, fühlte Joe sich Montalvo auf eigenartige Weise verbunden. Montalvo war ebenso zermürbt von der Jagd auf diesen Scheißkerl, und was auch immer Joe für ihn empfand, es war ihm klargeworden, dass der Mann wusste, was er hier in diesem Wald tat. Seine Chancen, Kistle zu ergreifen, standen ebenso gut wie Joes.
Und sollte es ihm gelingen, würde Joe ihm Kistle wieder abjagen. Er würde es nicht zulassen, dass Kistle den Behörden überstellt wurde, bevor er ein paar Antworten von ihm erhalten hatte.
Er warf noch einen Blick in den Wald, der immer noch im Dunkeln
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