Die Knochenleserin
lachte in sich hinein. »Ob es mir wohl gelingen würde? Montalvo würde mir wahrscheinlich den Hals umdrehen.«
»Das ist kein Wettkampf, Miguel. Heute Nacht ist wieder ein Mann gestorben.«
Sein Lächeln verschwand. »Das tut mir wirklich leid. Aber es liegt in der Natur der Männer, sich aneinander zu messen. Das tun wir, seit wir in Höhlen gelebt haben. Warum sonst gibt es Kriege? Kriege sind Wettkämpfe, egal, wie Politiker sie nennen. All diese Suchtrupps im Wald, die hinter Kistle her sind, wetteifern miteinander darum, wer ihn als Erster schnappt.«
»Miguel, ich habe keine Lust, darüber zu diskutieren, warum Männer diese Art von Horror für ein Spiel halten.«
Er nickte verständnisvoll. »Okay, ich sage nichts mehr. Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen auf die Nerven zu gehen.« Er betrat mit ihr den Aufzug und stand dann kopfschüttelnd und stirnrunzelnd vor den Bedientasten. »Ich mag ja stark sein wie ein Stier und klug wie ein Fuchs, und ich würde wie ein Löwe kämpfen, um Sie zu beschützen. Aber könnten Sie vielleicht die Taste fürs Erdgeschoss drücken? Mit der Aufgabe bin ich überfordert.«
Der Bereich der Einsatzzentrale war hell erleuchtet, und an der Straße parkte ein SUV des Gerichtsmediziners, als Miguel und Eve eintrafen.
Joe kam mit energischen Schritten zum Wagen und öffnete die Tür. »Okay, gehen wir.«
»Entschuldigen Sie mich bitte, Eve«, sagte Miguel. »Ich glaube, Quinn betrachtet mich hier als überflüssig.« Er sprang aus dem Wagen. »Ich sehe zu, ob ich Montalvo finden kann.«
Eve stieg aus. Sie schaute sich um, verblüfft über die hektische Betriebsamkeit der Suchmannschaften. »Das ist ja wie in einem Militärlager.«
»Der Sheriff war sehr beliebt in seiner Stadt«, sagte Joe. »Und mit jedem Toten sind mehr Freiwillige angerückt. Was nicht bedeutet, dass uns das hilft. Wir können unmöglich jeden Einzelnen im Auge behalten. Das ist das reine Chaos hier, aber es ist schließlich nicht meine Veranstaltung. Die Männer wollen losschlagen, und der Interimssheriff will es ihnen recht machen.« Er nahm sie beim Arm und führte sie Richtung Wald. »Zusätzlich kommen uns jetzt auch noch die FBI-Leute in die Quere, und Cassidy läuft herum wie eine Dampfwalze.«
»Trotzdem glaube ich, es war richtig, sie einzubeziehen.«
»Nur dass Kistle jetzt auch noch einen von Cassidys Fährtenlesern getötet hat, um uns zu verhöhnen.« Joe zuckte die Achseln. »Aber es spielt keine große Rolle. Für ihn ist ein Mord so gut wie der andere. Es hätte jeden treffen können.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Dass wir Bobby Joe gefunden haben, muss ihn mächtig wurmen. Diesen Mord musste er anders aufziehen, damit wir sehen, dass er uns überlegen ist und wir ihn nicht aufhalten können.«
Joe warf ihr einen Blick zu. »Du redest beinahe, als würdest du ihn kennen.«
»Ich mache mir so meine Gedanken. Er will, dass ich –« Sie erstarrte, als sie aus dem Gebüsch auf eine kleine Lichtung traten, auf der mehrere Leute beschäftigt waren. Ihr Blick wanderte augenblicklich zu dem Toten in Tarnkleidung, der gegen eine Kiefer gelehnt dasaß. Er starrte geradeaus, die blauen Augen weit geöffnet. Der Zettel, der an einem Pflock in seiner Brust hing, war vor lauter Blut kaum zu erkennen.
»Ganz ruhig«, sagte Joe leise. »Du wolltest ihn sehen. Kein schöner Anblick, was?«
»Hatte ich auch nicht erwartet.« Es kam ihr furchtbar vor, über diesen Mann, der bis vor wenigen Stunden noch gelebt hatte, so zu sprechen. »Wie heißt er?«
»Ellis.«
Sie trat näher. »Wer ist der Rothaarige, der vor ihm kniet?«
»Cassidy.«
»Er sieht sich die Nachricht an.« Sie trat näher an den Toten heran und versuchte, die Worte auf dem Zettel zu entziffern.
Cassidy blickte auf, als er Joe und Eve bemerkte. »Sie sind Eve Duncan? Ich wollte Sie schon in Ihrem Hotel aufsuchen und mit Ihnen reden. Warum zum Teufel tut der das?«
»Halten Sie sich gefälligst zurück, Cassidy. Ich habe Ihnen doch gesagt, in welcher Art von Verbindung er zu Eve steht«, sagte Joe. »Es gibt keinen Grund, sie zu quälen.«
Eve erschauderte, als sie zu dem Toten hinübersah. »Die Notiz. Konnten Sie sie lesen? Ist es dieselbe Botschaft wie zuvor?«
Cassidy schüttelte den Kopf. »Sie ist länger als die anderen. Aber sie ist auch an Sie gerichtet.«
»Und wie lautet sie?«
Sein Blick wanderte zu der Leiche. »Sehen Sie selbst.«
Eve bückte sich und entzifferte angestrengt ein Wort nach dem
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