Die Knochenleserin
Hände des jungen Mannes ein. »Okay, ich lass mir was einfallen.«
»Das wäre sehr nett von Ihnen. Auf Wiedersehen, Eve.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, trat sie an das Podest mit der Rekonstruktion von Carrie. Wenn sie sehr konzentriert arbeitete, würde sie noch einen Tag brauchen, um sie fertigzustellen. Herrgott noch mal, sie musste sich konzentrieren, um nicht ständig daran zu denken, was Kistle Bobby Joe angetan hatte. Das Entsetzen begleitete sie schon den ganzen Tag. Sie konnte es nicht ignorieren, aber vielleicht konnte sie es ausblenden und in den Hintergrund schieben.
Doch selbst während sie an Carrie arbeitete, ließen die Gedanken sie nicht los. Carrie war in einem flachen Grab in Kentucky gefunden worden. Wenn Megan zu diesem Ort ginge, würde sie dann auch Carries Stimme und die ihres Mörders hören? Wäre sie in der Lage, die Person, die das getan hatte, zu identifizieren? Megan konnte ihnen den Namen des Mörders von Bobby Joe nicht nennen, weil der Junge ihn nicht gekannt hatte. Aber war das in jedem Fall so? Sicherlich gab es auch Fälle, in denen das Opfer den Täter kannte.
Megan in diesen Fall mit einzubeziehen würde jedoch kein Leben retten, und sie konnte ernsthaft Schaden nehmen, wenn sie zu häufig so heftigem Schmerz ausgesetzt würde. Eve erschauderte bei der Erinnerung an Megans Gesichtsausdruck, kurz bevor sie zusammengebrochen war. Kein Mensch, der auch nur über ein bisschen Anstand verfügte, würde das von ihr verlangen.
Himmel, so wie sie sich über die Frage den Kopf zerbrach, hätte man meinen können, sie sei tatsächlich von Megans spirituellen Fähigkeiten überzeugt.
Aber letztlich musste sie sich eingestehen, dass es so war. Sie war sich nicht sicher, ob sie begriff, was da vor sich ging, aber sie war davon überzeugt, dass Megan nicht getrickst oder gelogen hatte, als sie ihnen dazu verholfen hatte, diesen kleinen Jungen zu finden. Und das hieß, sie konnte – Als das Telefon sie aus den Gedanken riss, säuberte sie ihre Hände an einem alkoholgetränkten Tuch und nahm den Hörer ab. Joe? Gott, sie konnte nur hoffen, dass es Joe war.
»Wie geht es Ihnen, Eve? Hat man Ihnen von Ihren Geschenken berichtet?«
Sie erstarrte vor Schreck. Kistle. »Das hat man allerdings. Haben Sie etwa geglaubt, Sie könnten mich auf die Palme bringen, indem Sie diese Männer töteten? Ich kannte sie ja nicht einmal.«
Er lachte in sich hinein. »Und jetzt versuchen Sie, mich davon abzuhalten, es noch einmal zu tun. O ja, es hat Sie fürchterlich getroffen. Ich wusste, dass es so sein würde. Sie haben ein weiches Herz und respektieren das Leben. Sie wissen nicht, dass die meisten der Jungs hier im Wald für mich nichts als Ungeziefer sind, das ich zertreten kann.«
»Sie sind immer noch im Clayborne Forest?«
»Warum nicht? Ich bin hier der Herrscher. Ich bin unnahbar.«
»Man wird Sie schnappen. Im Wald wird es ab morgen nur so von FBI-Leuten wimmeln. Geben Sie auf.«
»Aufgeben? Warum? Die kriegen mich sowieso nicht, und ich amüsiere mich hier.«
»Wieso können Sie mich überhaupt anrufen?«
»Ich habe immer noch mein Handy, aber jetzt gerade benutze ich zum letzten Mal das von Sheriff Jedroth. Ein Handy ist heutzutage viel zu leicht zu orten, wenn es nicht verschlüsselt ist. Falls die versuchen, das Handy des Sheriffs zu orten, werden sie es auf dem Grund des Sumpfs finden. Von jetzt an werde ich das Handy nach jedem Mord wechseln. Ich musste erst kurz nachdenken, wo ich Sie erreichen kann, aber das Brown Hotel ist das beste Haus in dieser Kleinstadt, und woanders würde man Sie nicht unterbringen.«
Er hatte sie also einfach so aus heiterem Himmel angerufen. Er wurde gejagt, aber seine Eitelkeit war so groß, dass er es nicht lassen konnte, ihr zu beweisen, dass ihn das überhaupt nicht kratzte. »Sie müssen sich ja ziemlich gut auskennen in Bloomburg.«
»Darauf können Sie sich verlassen. Man weiß nie, wann einem so was nützlich sein kann. Übrigens, ich habe Ihren Joe Quinn vorgestern gesehen. Ich war schon in Versuchung, Ihnen seinen Kopf zu liefern, habe mich dann jedoch entschlossen, bei meinem ursprünglichen Plan zu bleiben und Ihnen ein paar leichtere Opfer zu schenken.«
Ein Schauder kroch ihr über den Rücken. »Sie lügen.«
»Nein, ich würde lügen, wenn ich einen Nutzen davon hätte, aber es gibt keinen Grund zu lügen. Ich habe ihn auf der Stelle erkannt. Ich habe mich nach Bonnie noch sehr lange über Ihr Leben auf dem Laufenden
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