Die Knochenleserin
gehalten.«
»Warum?«
»Sie haben so herrlich gelitten. Das hat mich amüsiert. Aber dann wurden Sie eine gefragte Rekonstrukteurin, und das hat mich wütend gemacht. Sie haben sich eingemischt, und es gefiel mir nicht, dass Sie mir in die Quere kamen. Sie wurden zu einer Bedrohung. Bei der Beseitigung meiner Leichen lasse ich große Vorsicht walten, damit sie nie gefunden werden.«
»Wie bei dem Säurefass, in das Sie Bobby Joe geworfen haben?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Sie können ihn unmöglich gefunden haben. Ich habe alles genau geplant und mit großer Umsicht ausgeführt.«
»Offensichtlich sind Sie nicht so clever, wie Sie glauben.«
»Sie können nicht zufällig über die Stelle gestolpert sein, wo ich ihn vergraben habe. Ich war zu vorsichtig. Noch nie ist eine von meinen Leichen gefunden worden.«
»Es beunruhigt Sie offenbar. Das freut mich.«
»Wenn Sie recht hätten, würde es mich tatsächlich beunruhigen. Ich bin stolz auf meine Entsorgungsmethoden. Einen Mord geheim zu halten verlangt Intelligenz und Sorgfalt. Ruhm und Ehre sind sehr verlockend, aber die brauche ich nicht. Ich weiß, was ich getan habe und wie ich alle zum Narren gehalten habe.«
»Ach ja? Und warum klingen Sie dann so verbittert? Vielleicht dämmert Ihnen allmählich, dass alles auseinanderbricht. Im Moment sieht es nicht so gut aus für Sie, stimmt’s? All die Jahre lang lief es in Ihrem Sinne, aber plötzlich hat sich alles geändert. Sie haben den Sheriff getötet und mussten fliehen. Sie müssen sich verstecken. Und wir haben Bobby Joe gefunden, Sie Scheißkerl. Ob morgen oder nächste Woche, wir werden auch Sie finden.«
»Sie fangen an, mir auf die Nerven zu gehen, Eve.« Er holte tief Luft. »Aber im Grunde genommen haben Sie recht: An meinem derzeitigen Pech sind allein Sie schuld. Sie haben mir das eingebrockt, und offenbar legen Sie es darauf an, mir auch in Zukunft das Leben schwerzumachen. Ich habe nichts dagegen, weil dadurch in einer ziemlich eintönigen Welt frischer Wind aufkommt. Aber dass Sie diesen kleinen Jungen ausgegraben haben, missfällt mir sehr. Ich hatte ihn schön ordentlich verstaut. Wenn ich jetzt an ihn denke, wird er sich schon gar nicht mehr in diesem Fass befinden.«
»Ich wünschte, wir könnten Sie zu ihm in das Fass werfen.«
»Wie grausam. Wo es doch so schmerzhaft war.«
Die Wut überkam sie. »Sie werden das nie wieder tun, Kistle.«
»Natürlich werde ich das. So ein Fass ist eine saubere und anonyme Entsorgungsmethode.« Und leise fügte er hinzu: »Wollen Sie wissen, wie ich Bonnie entsorgt habe?«
Eve begann zu zittern. »Nein, ich würde Ihnen doch nicht glauben.«
»Es war nicht in einem Fass. Das ist einer meiner jüngeren Tricks.«
»Wo ist sie?«
»Weit weg. Sie werden Sie niemals finden.«
»Das haben Sie auch von Bobby Joe gedacht.«
»Stimmt. Vielleicht würden Sie sie finden, wenn ich Ihnen genügend Tipps gäbe. Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Das könnte womöglich sehr unterhaltsam werden. Aber damit es sich für mich lohnt, müssten Sie sich schon aktiv beteiligen und nicht als Zaungast zusehen.«
»Sagen Sie mir, wo sie ist.«
»Soll das eine Bitte sein? Dann sollten Sie nicht so fordernd klingen.«
»Ich bitte Sie um nichts.« Sie versuchte sich zu beherrschen. »Ich habe ja nicht mal einen Beweis dafür, dass Sie meine Tochter überhaupt getötet haben. Sagen Sie mir irgendetwas, das Sie nicht aus der Zeitung wissen können.«
»Das habe ich nicht nötig.« Er schwieg. »Aber vielleicht tu ich’s trotzdem. Sie mochte ein Lied besonders gern. Es ging darum, sich etwas von einem Stern zu wünschen. Ich habe sie es immer wieder singen lassen. Gegen Ende hat sie so heftig geweint, dass ich die Worte kaum noch verstehen konnte.«
Bonnie, die sich eng an Eve kuschelte. »Können wir heute Abend auf die Veranda gehen, Mama, und das Lied von dem Wunschstern singen?«
Der Schock und der Schmerz waren so heftig, dass sie einen Moment lang keinen klaren Gedanken fassen konnte. »Sie Scheißkerl. Davon war in den Polizeiberichten sicherlich nicht die Rede, aber wahrscheinlich hat es in einem der unzähligen rührseligen Artikel über Bonnie gestanden.«
»Aber Sie wissen es nicht genau, nicht wahr? Ich werde jetzt auflegen. Ich höre jemanden im Gebüsch hinter mir. Quinn? Nein, natürlich nicht, den würde ich nicht hören. Dafür ist er zu gut. Nur einer von diesen Kleinstadtpolizisten. Soll ich mich von hinten an ihn
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