Die Knochenleserin
Auftritt.« Joe zog sie ins Gebüsch. »Er wird jeden Moment genießen.«
»Wenn er nicht getötet wird.«
»Ja, wenn er nicht getötet wird. Das würde ihm die Show ein bisschen verderben.«
Sie war unglaublich nervös, und Joes Worte trugen nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. »Red keinen Stuss.«
Er schwieg einen Moment lang. »Du hast recht. Ich bin eifersüchtig. Ich möchte derjenige auf diesem verdammten Felsen sein, aber ich muss hier unten warten und hochschauen. Irgendwie gerate ich jedes Mal in diese Rolle, wenn Montalvo in der Nähe ist.«
»Weil du dich vergewissern willst, dass ich in Sicherheit bin, und ich bin nicht besonders gut darin, Felshänge zu erklimmen. Ich würde sagen, das ist so ziemlich die Hauptrolle.« Ihr Blick wanderte zu den Büschen am Felsen, in denen Montalvo verschwunden war. »Ich sehe ihn nicht mehr.«
»Drei Viertel hat er schon hinter sich. Da oben hat sich ein Zweig ganz leicht bewegt, den er im Vorbeigehen berührt hat. In ein paar Minuten müsste er oben sein.«
Sie strengte sich an, im Zwielicht etwas zu erkennen, aber sie sah überhaupt nichts. Es kam ihr unglaublich vor, dass Joe Montalvos Weg verfolgen konnte.
»Er ist oben.« Joes Telefon hatte vibriert, bis die Mailbox sich einschaltete. Dann vibrierte es noch einmal. »Auf dem Felsen ist niemand.« Joe drehte sich um und ging voraus. »Bleib hinter mir. Ich werde den Weg unterwegs immer überprüfen.«
Sie beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. Der Weg war fast völlig überwuchert, Gestrüpp über ihr, um sie herum, überall, es raubte ihr die Luft zum Atmen, und sie fühlte sich wie in einer Falle. Kistle konnte überall in diesem Dickicht hocken. Selbst wenn er in unmittelbarer Nähe wäre, würde sie ihn nicht sehen.
»Ich würde ihn hören«, sagte Joe leise über die Schulter. »Und wenn ich ihn nicht riechen könnte, würde ich ihn fühlen.«
Zu Hause hatte sie auch das Gefühl gehabt, sie würde Kistle spüren, wenn er in der Nähe wäre, aber hier war es anders. Sie war völlig orientierungslos, und ihr Herz klopfte so laut, dass sie nichts anderes hören konnte.
»Da im Blätterwerk vor uns ist eine Lücke«, sagte Joe. »Ich glaube, wir haben es auf die andere Seite des Felshangs geschafft.«
»Gut.« Instinktiv beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie direkt hinter ihm war. »Bevor wir wieder zurückfahren, würde ich gern mal mein Glück versuchen und da hinaufklettern.« Dann trat sie aus dem Gebüsch ins Freie und holte tief Luft.
»Warte hier einen Moment«, sagte Joe. »Du bist noch außerhalb der Reichweite eines Gewehrs, wenn er in diesem Kiefernwald steckt. Und ich wüsste nicht, wo er sonst Deckung finden könnte.«
Ja, er hatte recht. Sie zuckte zusammen, als sie den riesigen Felsbrocken und dahinter einen kleinen Kiefernwald entdeckte. Abgesehen davon war weit und breit nur offenes Gelände. »Wie kommen wir zu dem Wald, ohne gesehen zu werden?«
Joes Blick schweifte über den Felshang. »Überhaupt nicht. Da ist Montalvo.« Er hob eine Hand und zeigte auf den Wald. »Er versucht, von der anderen Seite in den Wald zu gelangen und sich dort umzusehen. In der Zwischenzeit laufen wir hier außerhalb der Schussweite ein bisschen herum und lenken Kistle ab, falls er tatsächlich dort ist.« Er bewegte sich auf den Rand des Gebüschs zu, das an die Lichtung grenzte. »Komm.«
Sie folgte ihm, ohne den Blick von dem Kiefernwald abzuwenden. Ob Bonnie dort vergraben lag? Hielt Kistle dort Laura Ann fest? Lauerte Kistle dort, das Gewehr im Anschlag, um sie alle zu töten?
»Ganz schön clever«, murmelte Kistle. »Findest du nicht auch, Laura Ann? Ist es nicht lustig, ihnen beim Spielen zuzuschauen? Ach stimmt ja, ich musste dich leider wieder knebeln. Aber ich bin sicher, du bist mit mir einer Meinung.«
Er konnte Montalvo nicht sehen, aber wahrscheinlich war er über den Felshang gekommen und befand sich im Wald. Er war froh, dass er Montalvo nicht abgeknallt hatte, bevor das eigentliche Spiel begonnen hatte. Es war aufregend, sich mit zwei so interessanten Gegnern zu messen. Er spürte, wie seine Vorfreude wuchs.
»Kommt näher«, flüsterte er. »Noch ein bisschen näher …«
Zwanzig Minuten später trat Montalvo aus dem Wald, winkte ihnen zu und kam ihnen entgegen. Sie trafen sich auf halbem Weg auf der Lichtung in ein paar Metern Entfernung von dem Felsbrocken. »Keine Spur von Kistle.«
»Ganz sicher?«, fragte Eve. »Es gibt doch hier keine andere Möglichkeit
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