Die Knochenleserin
dass ich sie liebe. Dass ich stolz auf sie bin. Und dass ich weiß, dass sie bald wieder zu mir nach Hause kommt.« Sie wandte sich abrupt um. »Und jetzt verschwinden Sie und suchen Sie meine Tochter.« Sie ließ Eve und Joe ohne ein weiteres Wort stehen und ging zurück ins Haus.
Eve spürte kaum, dass Joe sie am Arm nahm und sanft zum Wagen schob. »Sie leidet so schrecklich«, flüsterte sie. »Glaubst du, es hat etwas genützt?«
»Du hast getan, was du konntest«, erwiderte Joe ruhig. »Sie wird es überstehen. Sie ist zäh.«
»Ja.« Aber zäh zu sein bedeutete nicht, dass man gegen Schmerz und Panik immun war. Die Begegnung mit Nina Simmons hatte ihr wieder all die Qualen in Erinnerung gerufen, durch die sie nach Bonnies Verschwinden gegangen war. Sie öffnete die Wagentür. »Und jetzt machen wir uns an die Arbeit und sehen zu, dass wir das Versprechen einlösen, das ich ihr gegeben habe. Wir treffen uns in Montalvos Lager.«
»Das Foto könnte sowohl im Sumpfgebiet als auch im Chattahoochee National Forest aufgenommen worden sein.« Montalvo schlug einen Bildband über den National Forest auf und blätterte ihn hastig durch. »Verdammt, das ist jetzt schon das dritte Buch, das wir uns ansehen, aber dieser Felsen kommt nirgendwo vor.«
Joe schob einen Katalog über Bootsfahrten in den Sümpfen beiseite und nahm sich das nächste Buch vor. »Der Felsen muss hier irgendwo sein. Denn wenn es uns nicht gelingt, in seine Nähe zu gelangen, wäre der Spaß für Kistle verdorben.«
»Versucht es doch mal mit den Prospekten, die überall in den Hotels ausliegen.« Eve stand im Eingang zum Zelt. »Er will uns ja nicht wirklich zum Narren halten. Diesen Teil wird er uns leicht machen wollen. Was wäre leichter als all diese Touristenprospekte?«
»Gute Idee.« Montalvo griff nach einem Stapel Prospekten, die ganz unten in der Kiste lagen. Er sah Eve prüfend an, als er sie hervorzog. »Wie geht es Ihnen?«
»Sobald wir den Ort gefunden haben, wo Kistle uns in die Falle locken will, wird es mir bessergehen.« Sie kniete sich neben die beiden und begann, die Prospekte durchzublättern. »Ach Gott, Miguel hat ja wirklich alles angeschleppt, von den Okefenokee-Sümpfen bis zum Stone Mountain.«
»Der macht keine halben Sachen«, bemerkte Montalvo.
»Kistle auch nicht.« Eve nahm sich die Prospekte systematisch vor, öffnete jeden einzelnen und betrachtete die Abbildungen.
Nach fünf Minuten hatte Joe die Stelle gefunden. »Chattahoochee National Forest.« Er breitete den Prospekt aus und zeigte auf das Bild auf der Mittelseite. »Der Scheißkerl hat ein Foto mit einer typisch amerikanischen Familie ausgesucht.«
Auf dem Foto waren Mutter, Vater und ein kleines Mädchen zu sehen, alle in Wanderkleidung, die einen Hügel hinaufstiegen. Der Felsbrocken und die Kiefer waren deutlich zu erkennen. Das Gesicht des Mädchens war im Vordergrund, sie strahlte glücklich und unternehmungslustig in die Kamera. Natürlich war es nicht Laura Ann, aber die Wahl des Mädchens tat ihre Wirkung. Sie erinnerte sie alle daran, dass Leben so einfach zu vernichten war.
»Wo wurde das aufgenommen?«, fragte Eve. »Das ist keine bekannte Stelle.«
»Das wäre zu einfach.« Joe stand auf. »Ich rufe auf dem Revier an und lasse mir die Nummer des Verlags geben, der die Prospekte hergestellt hat. Los, brechen wir auf. Bis zum National Forest sind es nur ein paar Stunden.«
»Bis wir dort ankommen, wird es dunkel sein.« Eve ging zum Wagen. Das Tageslicht ging bereits von golden in rot über. »Wie sollen wir den Weg durch den Wald finden? Wir haben zwar Taschenlampen, aber das Gelände ist unwegsam, und wir wissen nicht, wohin wir müssen.«
»Sobald Quinn die Stelle geortet hat, müsste er uns sagen können, welche Richtung wir einschlagen müssen«, sagte Montalvo. »Er hat mir erzählt, dass er dort einige Zeit verbracht hat.«
»Ja, das stimmt.« Eve konnte sich noch gut an jene Wochen vor vielen Jahren erinnern, als Joe und die Suchtrupps diesen Wald nach Bonnies Grab durchkämmt hatten, an die Erschöpfung und Frustration und schließlich die Verzweiflung. Daran, dass ihre Beziehung an dieser Belastung beinahe zerbrochen wäre.
Und jetzt würde all das wieder von neuem beginnen.
»Gut, dass du endlich wach wirst. Was bist du bloß für eine Schlafmütze, Laura Ann. Das bisschen Chloroform sollte dich eigentlich gar nicht so lange schlafen lassen.«
Laura Ann hatte fürchterliche Angst. Das was der Mann, der
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