Die Knochenleserin
behauptet hatte, dass er ein guter Freund von ihrem Daddy wäre, und der ihr dieses Taschentuch auf den Mund gedrückt hatte. »Ich will nach Hause. Wenn Sie mich nicht sofort gehen lassen, sage ich der Polizei, was Sie mir getan haben.«
»Aha, eine kleine Kämpferin. Weißt du, ich habe immer den Eindruck gehabt, dass kleine Mädchen zähere Kämpfer sind als Jungs. Und ich kenne mich mit beiden gut aus.« Er überprüfte die Schnüre, mit denen er ihre Handgelenke gefesselt hatte. »Ich glaube, das hat was mit der Arterhaltung zu tun.«
»Meine Mutter hat gesagt, dass ich zu früh geboren wurde und nicht überlebt hätte, wenn ich es nicht unbedingt gewollt hätte.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Und jetzt binden Sie mich wieder los und lassen Sie mich nach Hause gehen. Meine Mom macht sich bestimmt schon Sorgen.«
»Das soll sie ja auch.« Er streichelte ihren Hals. »Denn ob du überlebst oder nicht, liegt diesmal nicht in deiner Hand, meine Kleine.«
Unter seiner Hand spürte sie, wie ihr Herz pochte. Es war klar, dass er ihr weh tun würde. Mom hatte ihr von bösen Männern erzählt, die Kindern gern weh tun.
»Ah, das gefällt mir schon viel besser.« Er musterte ihr Gesicht. »Du reißt ja deine Augen ganz schön weit auf, Laura Ann. Wie viel Angst hast du denn? Ich kann dir schreckliche Angst machen. Willst du mich nicht bitten, dir nicht weh zu tun?«
Und wie sie Angst hatte. Sie wäre am liebsten weggelaufen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Was für ein böser Mann. Was für ein böser, böser Mann.
»Nun mach schon«, sagte er leise.
Sie öffnete den Mund, um ihn zu bitten, um ihm zu versprechen, dass sie alles tun würde, was er wollte, aber sie war viel zu wütend auf ihn.
Sie spuckte ihm ins Gesicht.
»Du kleines Miststück.« Seine Hand schloss sich fester um ihren Hals, bis ihr erst rot, dann schwarz vor Augen wurde.
Dann ließ er sie los, um sich das Gesicht mit dem Taschentuch abzuwischen. »Wir werden noch viel Spaß miteinander haben, Laura Ann. Ich kann es kaum erwarten. Aber ich muss Geduld haben, denn zuerst musst du mit einem anderen Miststück reden.« Er hob sie hoch und warf sie auf den Rücksitz des Wagens. »Und dann werden wir ja sehen, wie zäh du wirklich bist.«
Sie fühlte sich kein bisschen zäh. Ihr tat der Hals weh, und sie hatte schreckliche Angst, genau wie er es beabsichtigt hatte. Sie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Mama sollte kommen und sie mitnehmen. Aber Mama hatte gesagt, sie beide wären jetzt auf sich allein gestellt, nachdem Daddy weg war, und Laura müsste sich selbst zu helfen wissen. Vielleicht war das ja jetzt so ein Mal, wo Mama ihr nicht helfen konnte.
Vielleicht musste sie nun aus eigener Kraft versuchen, dem bösen Mann zu entwischen.
Der Anruf vom Revier kam, als sie gerade dabei waren, den Chattahoochee National Forest zu betreten. Joe hörte einen Moment lang zu. »Okay.« Er legte auf. »Es ist ungefähr sechs Kilometer von hier entfernt, in der Nähe eines Felshangs an einem Fluss. Der Felsbrocken befindet sich auf der Rückseite. Die meinten, der Weg da rauf ist dermaßen von Gebüsch zugewuchert, dass er kaum noch zu erkennen ist.«
»Können Sie sich an das Gebiet erinnern?«, fragte Montalvo.
Joe nickte. »Diesen Fluss habe ich damals während der Suchaktion unzählige Male überquert, aber ich bin nie südlich des Felsens gewesen. Ich wusste nicht, dass es dort überhaupt einen Weg gibt. Wahrscheinlich habe ich ihn übersehen. Bis zum Fluss können wir fahren, aber danach müssen wir zu Fuß um den Felsen herumgehen.«
Eine Viertelstunde später erreichten sie den Fluss, stiegen aus und blickten an dem Felsen empor. Er war riesig, und Eve erschauderte bei seinem Anblick. »Wer auf diesem monströsen Felsen steht, hätte doch eine optimale Schussposition, oder?«
»Ja.« Montalvo ging voran. »Und deshalb werde ich auch hinaufklettern und mich umsehen, bevor Sie und Quinn den Weg um den Felsen herum nehmen.«
»Und wie wollen Sie verhindern, dass er Sie abschießt?«, fragte Eve. »Lassen Sie es sein.«
Er lächelte sie an. »Keine Sorge. Ich bin sehr erfahren. Lassen Sie mir eine Viertelstunde Vorsprung. Stellen Sie Ihr Handy auf Vibration, Quinn. Wenn ich anrufe, auflege und noch mal anrufe, ist die Luft rein.« Er verschwand im Gebüsch.
Eve fluchte leise vor sich hin. »Verdammt, er sollte da nicht raufklettern.«
»Du hättest ihn sowieso nicht aufhalten können. Was für ein großartiger
Weitere Kostenlose Bücher