Die Knochenleserin
Lager und blättere die Bücher durch, die Miguel aufgetrieben hat. Du kannst schon anfangen zu packen. Und ruf Patty an und frage sie, ob sie noch mal bereit ist, Toby zu sich zu nehmen. Falls uns wirklich nur zwei Tage bleiben sollten, tun wir gut daran, die heutige Nacht mitzuzählen.«
»Warte.«
Er blickte über die Schulter.
»Ich möchte Laura Anns Mutter treffen. Kannst du das so arrangieren, dass niemand es mitbekommt?«
»Das wird verdammt schwierig sein. Ihr Telefon wird sicherlich abgehört für den Fall, dass es Lösegeldforderungen gibt.«
»Kannst du dafür sorgen?«
»Es wäre klüger, es nicht zu versuchen, Eve.«
»Das ist mir egal. Ich weiß, was diese Frau durchmacht. Jede Information ist besser als keine. Sie soll wissen, dass jemand etwas unternimmt, um Laura Ann zu befreien, dass es eine Chance gibt, sie zurückzubekommen.«
»Die Chancen stehen nicht besonders gut.« Er hob abwehrend die Hand, als sie den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern. »Okay, ich kümmere mich darum. Ich fahre zu ihr nach Hause und werde den Captain bitten, mich mit ihr unter vier Augen sprechen zu lassen. Nina Simmons wohnt in einem Mietshaus in Marietta am Stadtrand von Atlanta. Du folgst mir, und ich werde sie rausbringen, ohne dass es jemand mitbekommt.«
Sie nickte. »Danke Joe. Ich brauche nur ein paar Minuten.«
»Falls sie durchdreht, könnten es ein paar Minuten zu viel sein.« Er öffnete die Verandatür. »Aber damit können wir uns auseinandersetzen, wenn es so weit ist. Du hast recht, sie hat jeden Trost verdient, den wir ihr geben können. Du bist nicht die Einzige, die sich noch daran erinnert, wie sehr du in den ersten Tagen nach Bonnies Verschwinden gelitten hast.«
Die Sonne stand tief am Himmel, als Eve sah, wie Joe und Nina Simmons aus dem Haus am Meadow Place Drive traten und die Verandastufen hinuntergingen. Laura Anns Mutter war eine hübsche Frau von Mitte dreißig; sie hatte braunes, kurzgeschnittenes Haar und die gleichen blauen Augen wie ihre Tochter. Aber diese Augen waren vom Weinen verquollen, und sie wirkte völlig aufgelöst.
Eve stieg aus dem Wagen und wartete an der Ecke, als die beiden näher kamen. Plötzlich fühlte sie sich hilflos. Im Grunde genommen wusste sie gar nicht genug, um Trost spenden zu können.
Aber sie konnte der Frau Hoffnung machen.
Joe blieb stehen und ließ Laura Anns Mutter die letzten Meter allein gehen.
»Nina Simmons?« Eve trat auf die Frau zu und reichte ihr die Hand. »Ich bin Eve Duncan. Ich möchte Sie nicht lange aufhalten. Ich wollte nur –«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Nina Simmons schroff. »Der Detective hat es mir gesagt. Er sagt, Sie wollten meine Tochter suchen. Er meinte, es bestünde vielleicht die Möglichkeit, dass Sie Laura Ann finden.«
»Wir werden sie finden.« Gott, sie konnte nur hoffen, dass es die Wahrheit war. »Aber Sie dürfen niemandem davon erzählen, dass wir möglicherweise eine Spur zu ihr haben. Es wäre – es wäre nicht gut.«
»Sie meinen, er könnte sie dann töten«, sagte sie unverblümt. »Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Noch nicht.«
»Dann wissen Sie auch nicht, ob sie noch lebt.«
»Ich glaube, es bestehen gute Chancen, dass sie lebt.«
»Aber Sie wissen es nicht.« Ihr versagte die Stimme. »Sie wissen gar nichts. Sie sind wie alle anderen.«
»Ich weiß, dass wir sie finden werden. Wir werden nicht aufgeben, bis wir sie gefunden haben.«
»Sie müssen sie finden. Sie ahnen ja nicht, was für ein einzigartiges Kind sie ist. Sie musste ihr ganzes Leben kämpfen, um am Leben zu bleiben. Als sie vier wurde, hatte sie schon zwei Herzoperationen hinter sich, und sie hat sie überstanden wie ein Champion.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Sie hatte eine Mutter, die nicht bei ihr sein konnte, weil sie zwölf Stunden am Tag gearbeitet hat, um die Familie zu ernähren, und einen Vater, dem seine Tochter nicht genug am Herzen lag, um zu bleiben, als es ihr richtig schlechtging. Trotzdem hat sie sich nie beklagt und ist jeden Tag fröhlicher und stärker geworden.« Dann fügte sie zornig hinzu: »Wehe, Sie lassen es zu, dass dieses Ungeheuer ihr etwas antut.«
Eve hätte sie am liebsten in den Arm genommen, um sie zu trösten, aber sie spürte, dass es Laura Anns Mutter nur mit äußerster Mühe gelang, die Fassung zu bewahren. »Wir werden sie Ihnen zurückbringen. Ich denke, ich werde bald mit ihr sprechen können. Soll ich ihr etwas von Ihnen ausrichten?«
»Sagen Sie ihr –
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