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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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Meter.
    Er konnte den keuchenden Atem des Mädchens hören, aber sie schluchzte nicht und schrie auch nicht. So ein tapferes Mädchen, zusammen konnten sie das durchstehen.
    Noch ein Meter zu schwimmen.
    Und in diesem Augenblick stieß er mit dem Bein gegen eine der Wurzeln der Zypresse, sodass sich eine Welle im Wasser ausbreitete.
    »Mist.«
    Der Alligator löste sich vom Ufer!
    Kurz darauf war Miguel bei Laura Ann. »Hoch!« Er fasste sie an der Taille und warf sie den Baum hoch. »Halt dich fest, verdammt.«
    Sie griff zu, aber ihre Füße rutschten erneut ab.
    »Halt dich fest.« Er drückte sich ab, um auch aus dem Wasser zu klettern.
    Zu spät. Der Alligator war bereits neben ihm, das Maul weit aufgerissen.
    Miguel rammte sein Messer mit voller Kraft in das geöffnete Maul und ließ es im Kiefer des Alligators stecken. Wahrscheinlich würde es dem Reptil nicht mehr ausmachen als ein Mückenstich.
    Aber Miguel kletterte schon auf den Baum bis zu dem Ast, an dem Laura Ann sich festhielt.
    Er hörte das Schnappen der Kiefer unter sich, schaute jedoch nicht nach unten, während Laura Ann ihm entgegenrutschte. Er ergriff sie und hielt sie fest, während er die Beine um den Ast schlang. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Wir sind in Sicherheit.« Von wegen. Der Alligator machte keinerlei Anstalten zu verschwinden, im Gegenteil, Miguel bemerkte einen weiteren Alligator in einiger Entfernung, der auf sie zuschwamm. Offenbar hatte der erste Angreifer einen Gast zum Abendessen eingeladen.
    Laura Ann hielt sich mit aller Kraft an ihm fest. »Und wenn … der Ast abbricht?«
    Er wünschte, sie hätte ihn das nicht gefragt. »Dann lass ich mir was einfallen. Ich kann die Biester in die Flucht schlagen. Ich bin sehr stark.«
    Laura Ann blickte nach unten zu den Alligatoren, dann sah sie Miguel an. »Ich glaube, die sind stärker.« Dann bemerkte sie seine bandagierten Hände, mit denen er sie festhielt. »Und deine Hände sind ja schon ganz blutig.«
    Verdammt, sie hatte recht. Die Nähte waren aufgegangen, und das Blut sickerte in die Verbände. Der Colonel würde ihn umbringen.
    Er musste plötzlich lachen, als ihm klarwurde, was er da gerade dachte. Wenn der Ast abbrach, dann spielte es wirklich keine Rolle mehr, wie wütend Montalvo auf ihn sein würde.
    »Du lachst ja.« Das kleine Mädchen hob den Kopf und sah ihn empört an. »Ich finde das überhaupt nicht lustig«, sagte sie mit funkelnden Augen. »Ich habe Angst. Dieser Kistle hat gesagt, er will mich an die Alligatoren verfüttern.«
    »Ich glaube nicht, dass er Alligatoren abgerichtet hat. Ich glaube, dieser hier ist völlig eigenständig.«
    »Das weiß ich selber.« Sie vergrub ihr Gesicht an Miguels Schulter. »Hast du auch Angst?«
    Das arme Mädchen. Sie hatte in den letzten paar Tagen die Hölle durchgemacht, und sie zeigte mehr Mut als die meisten Männer, die er kannte. »Große Angst.« Er streichelte ihr sanft übers Haar. »Aber zusammen können wir das durchstehen. Ich glaube nicht, dass der Ast abbrechen wird. Du bist doch ganz leicht.« Aber beim Hochklettern hatte er gespürt, wie der Ast ein wenig nachgegeben hatte. Womöglich war es nur eine Frage der Zeit, bis er brach. »Ich warte noch ein paar Minuten, bis mein Handy ein bisschen getrocknet ist, und dann versuche ich Hilfe zu rufen. Wenn es nicht funktioniert, werden wir einfach hier sitzen bleiben, bis entweder die Alligatoren verschwinden oder bis mein Freund uns holen kommt.«
    »Ist Eve auch deine Freundin?«
    Sie zitterte schon nicht mehr so sehr. »Ja, aber ich meinte eigentlich meinen Freund Montalvo. Wir sind schon sehr lange zusammen, und an ihn muss ich immer zuerst denken. Ich war noch ein kleiner Junge, als er mich im Dschungel gefunden hat.«
    »Hattest du dich verlaufen?«
    »Ja.« Es gab viele Möglichkeiten, sich zu verlaufen, es war also nicht ganz an den Haaren herbeigezogen. »Es ist ganz leicht verlorenzugehen. Hast du nicht auch Geschichten in deinen Märchenbüchern von Kindern, die sich im Wald verirren?«
    »Ich lese keine Märchen mehr. Mama sagt, es ist besser, wenn ich mich mit dem beschäftige, was im wirklichen Leben passiert.«
    Als Miguel die Alligatoren betrachtete, die immer noch um den Baum herumschwammen, drehte er Laura Anns Kopf an seiner Schulter ein bisschen zur Seite, damit sie sie nicht sehen konnte. »Ich finde es gar nicht so schlecht, dem wirklichen Leben ab und zu für ein Weilchen zu entfliehen. Vielleicht hätte deine Mutter gar nichts dagegen,

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