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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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sich, um besser zu sehen. Der Offizial diskutierte mit den schwarzgekleideten Mönchen. Nun nickte er und redete auf zwei Wachposten ein, die ihre Hellebarden niederlegten und zu uns herübersahen. Dann marschierten sie los, direkt auf uns zu. Schon waren sie da. Sie packten Hans. Hilflos, mit Entsetzen, mussten wir zusehen, wie sie ihn zur Bühne schleppten.
    Alles Weitere geschah viel zu rasch für mein Begriffsvermögen. Erst später, als bereits alles vorüber war, erfasste ich, wie Hans’ Schicksal besiegelt wurde. Die Dominikaner traten als Kläger auf und beschuldigten Hans der Ketzerei. In knappen Worten schilderten sie sein Vergehen. Hans stand auf der Bühne mit gesenktem Kopf, eine jämmerliche Gestalt, die es reglos hinnahm, als der Offizial den Stab über ihm brach und das Urteil verkündete: schuldig der Ketzerei. Tod durch Erhängen und ein Feuer, das seine furchtbaren Sünden reinigt.

    Wie betäubt erlebte ich den Vormittag, der sich endlos hinzog. Inzwischen brannte die Sonne heiß vom Himmel. Einer nach dem anderen wurde abgeurteilt. Jedes Mal führten die Büttel des Offizials die Delinquenten davon. Am Ende standen nur noch William und ich da.
    »Jetzt gilt es«, murmelte William. Er straffte sich und rasselte mit den Fesseln wie ein Kettenhund.
    Zwei Büttel führten uns auf die Bühne. Sofort wurde es in der Menge wieder laut. Diesmal verstand ich sofort, was sie rief: »Rote Hexe! Rote Hexe!«, skandierte der Mob.
    Der Offizial legte inzwischen eine gehörige Eile an den Tag, kein Wunder, hatte er doch schon den ganzen Morgen Urteile sprechen müssen, und bestimmt wurde zu Hause schon das Mittagessen kalt. Eine ausführliche Zeugenbefragung unterließ er, wohl mit Rücksicht auf uns, die wir in der Mittagshitze schmorten. Außerdem lag Erzbischof Wilhelm zu Köln krank darnieder, also konnte er auch nicht aussagen. Die Nonne, deren gewaschenes Gewand ich immer noch trug, bestätigte mit einem Kopfnicken den Diebstahl und beschränkte sich des Weiteren darauf, ihren Zeigefinger anklagend auf mich zu richten.
    Um die Sache nicht noch mehr zu komplizieren, sprach der Offizial über William und mich dasselbe Urteil. Eilig zerbrach er den Stab über unseren Köpfen und erklärte: »Somit seid ihr des schweren Diebstahls und Betrugs überführt. Deshalb wird jedem von euch als Strafe die Rechte abgeschlagen. Büttel! Bringt sie in den Kerker zurück. Das Urteil wird am morgigen Tag vollstreckt.«

    Hans – kleinwüchsig und schmächtig – wirkte, als sei er noch mehr geschrumpft. Der Scharfrichter hatte seinen Schädel beim Rasieren blutig geschabt. Die Henkersmahlzeit, ein fettes Stück Schweinefleisch mit einem halben Laib Weißbrot und einem Krug Wein, stand unberührt neben ihm.
    »Warum isst du nicht?«, fragte William, und ich sah, wie er sich die Lippen leckte.
    »Wozu?« Hans versuchte ein gequältes Lächeln. »Außerdem, wenn mein Bauch leer ist, kack ich mir die Hosen nicht voll. Ein wenig Würde will ich mir zum Sterben bewahren. Schließlich sieht ganz Köln dabei zu. «
    »Wenn du es nicht willst …«, begann William.
    Hans schob ihm den Teller hin. »Nimm nur. Ich habe keinen Hunger.«
    Ich warf William einen vernichtenden Blick zu. Hans würde sterben! Wie konnte er da nur ans Essen denken? Während in mir die Verzweiflung immer weiter wuchs, grinste William dümmlich, zog den Teller näher und stopfte sich Fleisch in den Mund.
    »Du hast gesagt, es gibt für uns eine Möglichkeit der Rettung«, rief ich. »Warum nimmst du sie nicht für dich selbst in Anspruch? Schließlich verlierst du dein Leben, wir aber nur die rechte Hand …«
    »Nur?«, unterbrach William kauend und mit hörbarer Entrüstung, »also, ein wenig hänge ich schon an meiner Hand …«
    »Still!«, rief ich. Am liebsten hätte ich ihm den Teller aus der Hand gerissen. »Wie kannst du immer nur an dich selbst denken?«
    »Es ist gut.« Hans legte seine Hand auf meinen Arm. »Todesurteile werden im Morgengrauen vollstreckt. Das ist viel zu früh für meine Art der Rettung – ich werde euch das später erklären. Außerdem …« Er unterbrach sich und blickte ins Leere.
    »Außerdem?«
    »Außerdem ist es gut und richtig, so wie es ist.«
    »Was redest du da?«, fragte William mit vollem Mund. »Du nennst das Urteil gerecht, obwohl du unschuldig bist?«
    »Ja«, nickte Hans müde. »Ich bin mein halbes Leben nur davongerannt. Ich hab mich immer versteckt, am Ende sogar als Bettler. Seht mich an. Es ist vorüber.

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