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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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besitzt, mich ständig zu unterbrechen, und sogar offen zeigt, dass ihm mein Schicksal – Gott weiß, es ist schwer genug – nichts bedeutet. Nein, er setzt dem Ganzen die Krone auf, indem er auch noch die Wahrheit meiner Rede bezweifelt. Eigentlich sollte ich mich in eine Ecke hocken und stillschweigen. Verdient hat er es jedenfalls nicht, dass ich ihn an meinem Leben teilhaben lasse. Wie dem auch sei« – nun sprach er wieder an uns gewandt – »erstens ist die Studiersprache, wie jeder weiß, Latein. Meine Kenntnisse diesbezüglich stehen wohl außer Zweifel. Und zweitens wurde die Prager Universität zweigeteilt, in einen böhmischen und einen deutschen Teil. So jetzt wisst ihr es ganz genau. Ich studierte dort Philosophie und Astronomie, und glaubt mir, mein Studium öffnete mir völlig neue Welten.«
    »Die dich letztlich zum Bettlerkönig machten?«
    »Gewissermaßen. Neben tausend und abertausend Dingen, die alle aufregend und wichtig sind, lernte ich die allerwichtigste Lehre.«
    »Welche?«
    Hans stieß ein bitteres Lachen aus. »Die allerwichtigste Lehre lautet: Es gibt nichts Gefährlicheres als Wissen.«
    »Moment.« William fuchtelte mit seinen langen Armen. »Das ist falsch. Nichts ist gefährlicher, als etwas
nicht
zu wissen. Wenn ich nicht weiß, dass man sich am Feuer verbrennen kann, ist das gefährlich. Oder etwa nicht?«
    »Natürlich. Doch ich spreche von etwas anderem. Wisst ihr, es gibt Dinge, die sind wahr und richtig, doch erbringt man den Beweis, dass es tatsächlich so ist, hat man vielleicht sein Leben verwirkt.«
    Das interessierte mich, und obwohl ich Williams Ellbogen schmerzhaft in der Seite spürte, fragte ich: »Du verstehst es, eine Geschichte spannend zu machen – aber sag, wovon sprichst du?«
    »Ich spreche von einer Lehre, die in aller Welt verkündet wird, vor allem auch von der heiligen Kirche. Seid ihr gottesfürchtig?«
    »Natürlich. Sehr.« Kam es gleichzeitig aus meinem und aus Williams Mund.
    »Hm«, machte Hans.
    Inzwischen war die Dunkelheit als schwarzer Schatten vollständig im Kerker eingezogen. Zwar konnte ich die Schemen meiner beiden Mitgefangenen ausmachen, doch Mimik und Gesten, die oft die Bedeutung einer Äußerung erklären, waren nicht zu erkennen.
    »Sprich offen«, ermunterte ich Hans.
    »Nun gut«, erwiderte dieser nach einigem Zögern. »Der Reihe nach: Was das Universum betrifft, richtet sich die kirchliche Lehre hauptsächlich nach den Überlieferungen von Aristoteles und Ptolemäus, allerdings nicht in Originalschrift, sondern in lateinischen Kompendien – die meisten Mönche sind ja des Griechischen nicht mächtig. Die Botschaft jedoch ist eindeutig. Die Erde befindet sich fest, absolut und unbeweglich im Mittelpunkt, Jerusalem ist der Nabel der Welt. In der höchsten Sphäre des Himmels wohnt das Reich Gottes und aller Heiligen, das Empyrium. Ihr wisst, was mit Menschen geschieht, die dieser Lehre widersprechen?«
    William und ich wussten es. »Sie werden als Ketzer hingerichtet.«
    »So ist es. Menschen wurden in Rom öffentlich verbrannt, weil sie etwas Ähnliches verkündeten.«
    »Du hast also behauptet, die Erde sei nicht der Mittelpunkt? In meinem Kloster, das aus deiner Sicht vielleicht am Ende der Welt liegt, wurden diese neuen Thesen im Geheimen auch diskutiert. Natürlich hat es die Äbtissin strengstens verboten.«
    »Der Unterschied ist …« Hans senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »… der Unterschied ist, ich habe es nicht nur behauptet, sondern bewiesen. Sogar vor einem Gremium des Papstes.«
    »Du hast was? Wie denn?«
    »Mit einem einfachen Lot, so wie es die Seefahrer benutzen. Nur das Blei am Ende war viel schwerer und lief spitz zu.«
    Während ich hörte, wie William im Dunkeln vernehmlich gähnte, beugte ich mich gebannt vor. Etwas raschelte im Stroh. Ich hatte das Bild einer huschenden Ratte vor Augen und zog die Schultern hoch. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie absurd es war, was hier, in diesem Kerker geschah. Hier hockten drei Menschen, deren Urteile morgen der Erzbischof – oder wer auch immer – verkünden würde. Diese drei – ein Bettler, eine weggelaufene Nonne und ein diebischer Reliquienhändler – hatten nichts Besseres zu tun, als ketzerisches Gedankengut auszutauschen.
    »Man könnte den Ursprung meiner Entdeckung als Zufall bezeichnen«, fuhr Hans fort, »aber vielleicht auch als Gottes Wille. Ich war ein unruhiger Mensch, stets in Bewegung, immer zappelte etwas an mir.

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