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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Da erst wurde mir bewusst, dass es um mein Leben ging. Ich rannte davon.«
    »Und dann?«
    »Ich floh aus Prag. Und aus anderen Städten. Doch immer waren sie mir auf den Fersen. Am Ende musste ich erkennen, dass es nur eine Möglichkeit gab, ihnen zu entkommen. Ich musste mich verwandeln. So wurde ich zum Bettler. Das ist meine Geschichte.«
    Ich war erschüttert und fühlte Mitleid mit diesem Mann, der vom begabten Studenten zum Bettler wurde. Eine Weile schwiegen wir. Draußen, vor unserem Gefängnis, war Wind aufgekommen, er heulte um die Mauern wie ein einsamer Hund.
    »Schön«, sagte William schließlich. »Jetzt wissen wir das also auch. Eins ist mir allerdings nach wie vor unklar.«
    Hatte ich erwartet, Hans würde ob dieser mangelnden Teilnahme an seinem Schicksal erbost aufbrausen, so sah ich mich getäuscht. Stattdessen klang er recht verständnisvoll, als er antwortete: »Ich weiß schon. Übrigens, wenn du auf heilige Knochen aus bist, so ist Köln der falsche Ort. Die Gebeine der heiligen Jungfrauen sind längst in alle Winde zerstreut. Rom, mein Freund – du solltest nach Rom.«
    »Tatsächlich?« William klang plötzlich gar nicht mehr gelangweilt. »Rom? Nicht Prag?«
    »Rom, ja. Dort in den Katakomben liegen immer noch massenweise Knochen von Märtyrern.«
    »Ah! Du sprichst von jenen Christen, die von den Römern wegen ihres Glaubens getötet wurden? Das sind wahre Heilige.«
    »So ist es.«
    Ich konnte förmlich spüren, wie es in Williams Kopf arbeitete. Doch zu meiner Überraschung ging er gar nicht weiter auf die römischen Märtyrerknochen ein. Stattdessen brummte er: »Eigentlich wollte ich etwas anderes fragen.«
    »Was?«
    »Du hast gesagt, deine Geschichte kann uns retten. So, wie ich es verstanden habe, würde sie uns aber doch eher umbringen.«
    »Ich meinte nicht diesen Teil meiner Geschichte.«
    »Oh. Es gibt noch einen anderen?«
    »Ganz gewiss. Darin geht es um das Wetter und darum, dass es in diesem Fall lebenswichtig ist, sich nicht zu verrechnen.«
    »Gut. Wir wollen auch diesen Teil deiner Geschichte hören.«
    »Jetzt nicht mehr.« Hans gähnte. »Morgen. So eine Verurteilung ist eine anstrengende Sache. Also lasst uns jetzt schlafen.« Sprach’s und blieb des Weiteren stumm. Nur das Stroh raschelte, als er sich zur Nachtruhe einrichtete, und wenig später schnarchte er auch schon – erstaunlich laut, für einen so kleinen, schmächtigen Kerl.

29
    Die Bedeutung der Mathematik und des Wetters
    N och immer waren strahlende Sonnentage für mich ungewohnt, ebenso wie die Menschenmenge, die sich zum Gerichtstag versammelt hatte, und die eisernen Fußfesseln, mit denen uns der Scharfrichter zum südlichen Domplatz führte. Auf einer eigens errichteten Bühne thronte der Offizial des Bischofs, ein blasser, scharfgesichtiger Mann mit stechendem Blick, schwarzer Samtrobe und Feder auf dem Barett. Neben ihm hockte ein Schreiber, der schon zum dritten Mal prüfte, ob die Rabenfeder auch spitz genug war.
    »Siehst du, der Teufel schreibt doch mit Krähenfedern«, flüsterte ich zu William.
    An seiner Stelle antwortete Hans: »Das ist nur der Büttel. Er protokolliert die Urteile.«
    »Also doch der Teufel«, krächzte ich mit plötzlich rauher Stimme. Neben uns waren noch etwa zwanzig weitere Angeklagte wie Schlachtvieh unter der strahlenden Sonne zusammengedrängt.
    »Warum ist der Erzbischof nicht zugegen?« Ich zitterte am ganzen Körper. Hatte Hans nicht erklärt, Wilhelm zu Köln sei, im Gegensatz zu seinem Offizial, ein milder Richter?
    »Er ist krank.«
    »Krank?«, murmelte ich und blickte mich ängstlich um. Noch immer wuchs die Menge der Schaulustigen an. Ginge es nicht um mein Schicksal, hätte ich vielleicht sogar Gefallen an dem Treiben gefunden. Händler boten ihre Waren feil, aus Garküchen roch es verführerisch, und Gaukler und Fahrende zeigten Kunststücke. Ich bestaunte ein riesiges zotteliges Tier, das höher aufragte als ein Mensch und sich mit wiegenden Schritten hin und her bewegte. Es trug ebenso Ketten wie ich.
    »Was ist das?«, flüsterte ich zu William.
    »Ein Tanzbär«, antwortete Hans erneut an seiner Stelle. Ich sah, wie er mit einem Mal totenbleich wurde. Er starrte auf drei Männer, die die Bühne betraten. Sie trugen schwarze Dominikanerkutten und redeten auf den Offizial ein.
    »
Canes domini.
Die Hunde des Herrn.« Hans stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. »Sie haben mich gefunden. Das ist das Ende.«
    »Was redest du da?« William streckte

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