Die Knochentänzerin
Ledermaske, Riemen. Glaubte ich Hans? Sollte es die Wahrheit sein, dass so etwas geschah, genau heute, zum angegebenen Zeitpunkt? Stimmte überhaupt das ganze Bild? Oder handelte es sich bei der von Hans beschworenen Ordnung um nichts weiter als ein Hirngespinst – einem kranken Kopf entsprungen? Eine weitere Frage, die in mir rumorte, war diese: Warum hatte Hans keinen Weg gesucht, das Gottesurteil für sich selbst zu fordern? Sprach diese Tatsache nicht dafür, dass es blanker Unsinn war? Am Ende galt sein Streben nur dem einen Ziel: Er, der Todgeweihte, wollte uns mit ins Grab reißen. Oder er wollte unsere Dummheit testen, ob wir tatsächlich die Einfalt besaßen, auf ein solches Lügenmärchen hereinzufallen.
»Ich glaube, es ist alles Lug und Trug. Nie und nimmer wird es geschehen.«
William schüttelte langsam den Kopf.
»Erinnerst du dich«, flüsterte ich, »als er in den Kerker kam, sprach er von einer milden Strafe wegen Bettelei. Verurteilt aber hat ihn der Offizial als Ketzer. Schon das passt nicht zusammen.«
»Es war anders«, erwiderte William. »Du selbst hast die Dominikaner gesehen, wie sie auf der Bühne standen und mit dem Offizial stritten. Danach holten sie Hans und verurteilten ihn. Es war genau so, wie er sagte: Er floh, er versteckte sich, doch nun haben sie ihn gefunden. Ich hab noch nie einen Bettler gesehen, den man wegen Ketzerei hängt und verbrennt. Wenn du mich fragst, erzählt uns sein Todesurteil nur eins – nämlich dass er die Wahrheit sagt.«
Ich versuchte, Bilder unserer möglichen Rettung in meinem Kopf entstehen zu lassen. Doch es gelang mir nicht. Es war unmöglich. Die Furcht fraß ein Loch in meine Eingeweide. Ich jammerte angstvoll: »Es wird furchtbar schiefgehen, und am Ende bezahlen wir mit unserem Leben.«
William brummte: »Wenn du nicht dumm bist, tust du das Gleiche wie ich. Ich probier’s.«
Ich spürte die Tränen. »Selbst wenn es wahr ist – werden sie uns danach nicht anklagen, wir stünden mit dem Teufel im Bund? Du hast es gehört – schon jetzt rufen sie mich Hexe.«
William stand scheinbar unberührt neben mir und erklärte, als ginge es um eine Wirtshauswette: »So ist das nun mal im Leben. Manchmal muss man etwas riskieren. Sonst hat man das Nachsehen.«
Ich schwieg. Gelähmt von Furcht.
Dann brachten sie ihn. Er ging aufrecht, doch sah man, dass seine Beine nur mühsam ihren Dienst verrichteten. Ich bemerkte, dass er sich keine Furcht anmerken lassen wollte, aber seine so sorgsam gehobenen Mundwinkel verzerrten seine Miene nur noch mehr. Er hielt den Kopf so hoch er konnte, und trotzdem wirkte es, als stecke er zwischen den Schultern. Er bot einen jämmerlichen Anblick, und das Mitleid schnürte mir die Kehle zu.
»Gleich muss er sterben!«, weinte ich. »Was sollen wir tun?«
William zuckte hilflos mit den Schultern. Er sagte nichts. Ich sah, wie der Henker Hans die Schlinge um den Hals legte. Seine Knechte schürten mit Fackeln das Feuer.
»Wir müssen ihm helfen!«
William lachte bitter und zeigte mir seine Fesseln: »Wie denn?«
»Das weiß ich doch nicht!«
»Sein Schicksal ist besiegelt.«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. »Ich rufe das Gottesurteil für ihn aus! Warum tut er es denn nicht selbst?«
»Sei bloß still!« William hob den Blick zum Himmel: »Dafür ist es viel zu früh. Es würde jetzt noch gar nichts geschehen.«
»Können wir denn nichts tun?«
William presste das eine Wort zwischen den Lippen hervor: »Nein.«
Ich schrie entsetzt auf. Schneller, als ich denken konnte, baumelte Hans am Galgen. Und schon leckten gierig die ersten Flammenzungen nach seinen Füßen. Unter dem Jubel der Menge verschlang ihn das Feuer.
Auf dem Schafott schwelte immer noch die Glut. Der Gestank von verbranntem Fleisch waberte über dem Platz. Die Sonne bewegte sich unmerklich in den Zenit. Die Henkersknechte kamen, um uns zu holen. Als meine Beine nachgaben, hoben sie mich auf die Bühne und stellten mich grob vor den Richtblock. Ich sah die Lederriemen, mit denen gleich meine Rechte festgezurrt werden würde. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, starrte ich vor mich hin. Die Rufe des schaulustigen Mobs schlugen wie Wellen über mir zusammen.
»Rote Hexe! Rote Hexe! Rote Hexe!«, und sie riefen noch andere Worte, die ich nicht verstand.
William, der neben mir stand, blickte immer wieder zum Himmel. »Gleich«, murmelte er. »Gleich.«
Ich war bewegungslos vor Furcht und weinte.
»Heul nicht,
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