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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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sag es endlich!«, zischte William.
    Der Offizial entrollte das Pergament mit dem Urteil. Ich nahm an, es war von Erzbischof Wilhelm zu Köln eigenhändig signiert, das bischöfliche Siegel in blutrotes Wachs gestoßen. Beinahe überschlug sich die Stimme des Offizials, als er verlas, was geschrieben stand. Zufrieden ließ er das Schreiben nun sinken und blickte in die Runde, die seine Litanei mit lautem Rufen und Johlen quittierte.
    Der Henker packte meine Hand. Wie der lebendig gewordene Alptraum stand er vor mir, groß, dunkel wie ein Fels, das Gesicht hinter der Ledermaske verborgen. Nur seine grauen Augen sah ich, sie blickten kalt auf mich herab. Ich versuchte zu sprechen, doch ich brachte kein Wort heraus.
    »Dann tu ich es eben«, zischte William, und dann schwoll seine Stimme so weit an, dass mit einem Mal die gesamte Menge vor Überraschung verstummte. »Wir«, dröhnte er, »meine Gemahlin und ich – Gott sei unser Zeuge – sind unschuldig.«
    Wieder johlte und brüllte der Mob. Faules Gemüse prasselte auf uns ein. Der Offizial hob eine Hand, die alle verstummen ließ. Seine Augen wurden schmal. »Fahr fort«, forderte er William auf.
    William tat, wie ihm geheißen: »Wir verlangen ein Gottesurteil.«
    Der Offizial schüttelte den Kopf. »Das ist in eurem Falle nicht vorgesehen. Gottesurteile werden gewährt, wenn ein Täter nicht durch Beweise zu überführen ist.« Ein schwer zu deutendes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er aufzählte: »In Köln gibt es die Feuerprobe, wer die zu bestehen hat, der muss mit bloßen Füßen über glühende Pflugscharen schreiten oder mit einem in Wachs getauchten Hemd durch flammendes Feuer gehen oder sich feurige Kohlen auf die Brust legen lassen. Wird er davon gebrannt, so ist dies ein Beweis seiner Schuld. Bleibt er dagegen unversehrt, so wird er für unschuldig erkannt. Weiterhin wird die Hexenprobe praktiziert. Damit findet man heraus, ob man es mit einer Hexe zu tun hat. Die Frau wird gefesselt in einen Sack gesteckt und in den Fluss geworfen.« An dieser Stelle streifte mich der Offizial mit einem Blick, bevor er weiterfuhr. »Kann sie sich befreien, ist das der Beweis, dass sie die Hexerei beherrscht. Das Gottesurteil des geweihten Bissens wird nur für Geistliche angewandt, beim Kreuzgericht treten Kläger und Beschuldigter gegeneinander an, und das Bahrrecht gibt es nur bei Mord oder Totschlag. Für Diebstahl und Betrug ist kein Gottesurteil vorgesehen.«
    Während ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte – außer, dass der Henker im Begriff war, meine Hand auf dem Hackblock festzubinden und dass man Frauen bei der Hexenprobe ertränkte –, behielt William einen kühlen Kopf und erklärte ruhig, als rede er über das Wetter: »Es geht um ein völlig anderes Gottesurteil. Dieses Urteil wird nicht allein über unser Schicksal entscheiden.« Er ließ seinen Arm über die Menge schweifen. »Es entscheidet über das Schicksal aller hier Anwesenden.«
    »Ach«, sagte der Offizial und gab dem Henker einen Wink, der sich daraufhin wieder an den Riemen auf dem Richtblock zu schaffen machte.
    »Ja.« William hob seine Stimme, dass es dröhnte. Die Gaffer starrten ihn an. »Hört genau zu, Kölner. Gott kennt die Wahrheit. Der Herr hat entschieden. Wenn uns ein Leid geschieht – wenn man uns auch nur ein Haar krümmt …«, nun senkte er die Stimme wieder, doch nur so weit, dass er immer noch gut zu verstehen war, »… dann nimmt er Köln das Sonnenlicht.«
    Die Menschenmenge raunte. Der Henker hielt inne und blickte den Offizial an, der knurrte: »Was redest du da?«
    William mimte den Propheten. Mit ausgebreiteten Armen stand er auf dem Schafott. »Bürger von Köln. Bevor ihr bis zehn zählen könnt, wird die Sonne verschwinden. Es wird dunkel werden, jetzt zur Mittagsstunde. Ich sage euch, verrichtet der Henker an uns sein Werk, dann wird die Sonne nie mehr scheinen. Verschont er uns«, Williams Arme sanken herab, »dann gibt euch der Herr auch das Sonnenlicht zurück.«
    »Blödsinn«, blaffte der Offizial. »Glaubst du etwa, so könntest du euch retten, Henker, tu dein …« Mitten in seiner Rede hielt er inne. Der Mob heulte auf. Tatsächlich! Die Sonne war verschwunden. Dunkelheit senkte sich über den Richtplatz. Eine Ewigkeit war kein Laut zu hören.
    »Henker, rasch!«, flüsterte der Offizial dann entsetzt. »Nimm ihnen die Fesseln ab!«
    »Schenkt ihnen die Freiheit!«, klangen die angstvollen Schreie der Meute.
    Ich spürte, wie die

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