Die Knochentänzerin
dieser Stadt zum Tode verurteilt.«
»Das Urteil ist hinfällig, denn der Herr persönlich hat Sineads und mein Leben gerettet.«
»Ich meine eher, es war der Teufel.«
»Ein Gottesurteil. Die Gesetze besagen, reißt der Galgenstrick, ist der Verurteilte frei. Ebenso ist es mit dem Feuer, erlischt es, so war es Gottes Wille, und Ihr könnt mich nicht ein zweites Mal anklagen.«
»Nicht wegen derselben Tat. Doch Ihr habt neue Verbrechen begangen. Ich klage Euch des Mordes am Dogen von Venedig an sowie des Verrats an der Republica Venecia.«
»Ich werde alles abstreiten, und Ihr könnt nichts sagen, weil Ihr mein Komplize wart.«
Faliero lachte hämisch. »Was glaubt Ihr, wer Ihr seid? Die peinliche Befragung wird auch in Eurem Fall die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Selbst wenn mich die Folter zu einem Geständnis zwingt, der Große Rat von Venedig wird einsehen, dass ich eine solche Tat niemals allein planen und begehen konnte.«
Der Doge blickte hinunter in das Verlies, das in der Dunkelheit bodenlos schien. Dann überlegte er laut: »Da habt Ihr allerdings recht.« Er kehrte dem Gefangenen den Rücken zu und winkte Bocconcello. »Gehen wir.«
Auf dem Weg nach oben, von der absoluten Finsternis der Verließe hinauf zu den grauen Schatten der Nacht, wurde ihm immer klarer, was zu tun war. Zum zweiten Mal würde er eine Frau opfern, die für sein Bett bestimmt war und am Ende doch auf dem Scheiterhaufen landete. »Lass diese rothaarige Hexe verhaften und ihren dürren Kompagnon«, wies er Bocconcello an. »Die Anklage lautet: Reliquienfälschung und Mithilfe beim Mord am Dogen von Venedig.« Dann fügte er hinzu: »Lass die beiden in verschiedene Kerker werfen. Doch halt – steck das Mädchen zu dem Engländer. Vater und Tochter im selben Verlies. Das könnte interessant werden. Hast du alles verstanden?«
Während Bocconcello nickte, warf er dem Dogen einen Blick zu, der vieles bedeuten mochte. Dann eilte er davon.
Faliero blieb zurück und überlegte, ob er alles richtig gemacht hatte. Er hatte die Entscheidungen rasch gefällt. Passte alles zusammen? Das Wichtigste war, dass er am Ende als Sieger dastand. Fünf Schachfiguren in diesem Spiel habe ich opfern müssen: Pietro Dandolo, Grimani und Vendramin für das Erlangen der absoluten Macht. Den Burschen und das Mädchen ebenso, Letztere aber auch, um Aluicha versöhnlich zu stimmen. Aluicha gegen mich einzunehmen könnte bedeuten, dass alles umsonst war. Mit ihr würde ich Gradenigo und einige andere verlieren, und damit die Mehrheit. Was für ein alter Narr ich doch bloß war. Sogar einen Maler ließ ich für sie kommen. Erneut schüttelte er über sich selbst den Kopf. Was machen die Weiber bloß mit einem? Doch nun ist alles in die richtigen Bahnen gelenkt. Den Engländer hat mir der Himmel geschickt. Schon bald werde ich Venedig den Mörder Dandolos präsentieren, zusammen mit seinen beiden Komplizen. Das ist notwendig und gut, und ich werde über jeden Verdacht erhaben sein. Dort unten, in den Verliesen, werden sie schreien und wimmern und letztlich ihre Schuld gestehen. Dann bekommt die traurige Gestalt über der Porta della Carta dreifaltige Gesellschaft. Schon bald kommt der Kaiser nach Venedig. Die Hinrichtung wird seinen Besuch krönen. Er wird erleichtert sein, dass Böhmen keine Schuld am Tod des Dogen trifft. Damit gewinne ich einen starken Verbündeten gegen alle Feinde Venedigs.
Ich habe nichts übersehen. Die Züge im Spiel sind gesetzt.
Re e regina.
König und Dame.
Alles wird gut.
52
Das Ende des Regenbogens
S chlaf – eine sich stets wiederholende Vorahnung des Todes? Wenn ja, welche Bedeutung gilt es dann den Träumen zuzuordnen? Sind sie Rückblick auf das, was wir einst waren, bevor unsere Saat im Mutterleib aufging? Oder sind sie Vorsehung und zeigen uns in verschlüsselten Schattenbildern und lautlosem Geschehen, was einmal sein wird?
Wie sollte ich also den Traum deuten, aus dem ich soeben hochgeschreckt war, in dem sich die Figuren meines Vaters und des Dogen vermischten und zu ein und derselben Person wurden? Ich träumte, ich balancierte auf einem Seil, das von der Spitze des Campanile zum Ende eines Regenbogens gespannt war. Neben mir schwebte wie ein himmlisches Wesen der Doge – oder mein Vater – und wies hinunter auf ein Meer und eine ferne Küste und sagte: All dies gehört dir, wenn du es haben willst. Es ist mein Geschenk an dich für den Schmerz und die Mühsal, die ich dir bereitet habe. Ich tanzte weiter
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