Die Knochentänzerin
Königin der Kurtisanen – und was nahm sie sich dann heraus? Nicht nur besaß sie die Unverschämtheit, sein ehrbares Angebot abzulehnen und spuckte ihm dabei doch tatsächlich auf die Schuhe, nein, sie hatte noch die Stirn, der Dogaressa von Venedig ins Gesicht zu sagen, er, Faliero, begehre sie zu seiner Konkubine.
Er stemmte sich aus dem Sessel. Ruhelos lief er auf und ab. Ich muss eine Lösung finden! Ich muss Aluicha besänftigen. Aber wie nur? Es wird nicht genügen, wenn ich behaupte, Cailun habe gelogen. Einer solchen Behauptung müsste noch etwas anderes folgen. Ich müsste darüber hinaus noch irgendeine glaubwürdige Maßnahme ergreifen, um diese … diese Bloßstellung zu tilgen. Wie konnte ich es überhaupt zulassen, dass dieses Gör mir dermaßen den Kopf verdreht? Wie damals ihre Mutter. Ich muss zugeben, ich habe eine Schwäche für die Schönheit des weiblichen Geschlechts. Und eine Schönheit ist sie – zweifelsohne. Doch dass es mir gleich den klaren Verstand raubt und ich alles riskiere … Sie muss eine
strega
sein, eine Hexe, mit ihrem Feuerhaar und den Schlangenaugen. Ich muss sie sofort verhaften lassen …
Ein plötzliches Klopfen an der Tür ließ Faliero erstarren. Zu dieser Zeit war es keinem erlaubt, ihn zu stören, außer etwas Bemerkenswertes wäre vorgefallen – etwas, das sogar wichtiger war als die Nachtruhe des Dogen. Er bellte einen Befehl, und die Tür wurde geöffnet. Ein verschlafener Majordomus stand mit um Verzeihung flehendem Blick da und wurde nun von einem anderen Mann grob zur Seite gestoßen: Adamo Bocconcello – seine Verbindung zu jenen dunklen Kanälen, deren Existenz die Oberen stets verleugneten, die aber trotzdem in jedem Staat existieren.
Bocconcello kam ohne Umschweife und ohne Entschuldigung für die nächtliche Störung zur Sache. »Wir haben einen Mann festgenommen. Da wir wissen, dass Euch an ihm liegt, hielten wir es für angebracht, Euch sofort zu unterrichten. Außerdem ist es Eure Entscheidung, was mit ihm geschehen soll.«
Faliero wies wortlos auf einen der beiden Sessel und nahm selbst auf dem anderen Platz. »Wer ist der Mann«, fragte er.
Bocconcello verschränkte die Arme vor der Brust. Er war gekleidet wie ein einfacher Händler. Wie die meisten der Männer seines Gewerbes war an ihm so gut wie nichts Auffälliges. Ebenmäßige Gesichtszüge, die aber mitnichten schön zu nennen waren, normaler Wuchs. Er sprach mit leichtem venezianischem Akzent: »Bei uns heißt er nur:
der Engländer
. Seine Tätigkeit ist mit der meinen vergleichbar, nur dass er für König Edward arbeitet. Ihr wisst, Domenico ist der Älteste in unseren Reihen. Er ist etwas ratlos, denn er behauptet, dass der Mann schon einmal hier verhaftet und von Euch zum Tode verurteilt worden war. Es kann aber kaum stimmen, denn er wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Könnt Ihr Euch noch an den Fall erinnern?«
Der Doge nickte finster. »Domenico hat vermutlich recht. Der Mann lebt. Er ist damals wie durch ein Wunder dem Scheiterhaufen entkommen. Wahrscheinlich war es eher ein Werk des Teufels. Der Engländer war in Prag und hat mich dort sogar bedrängt.« Hinter Falieros Stirn rasten die Gedanken. Doch dann überzog ein staunender Ausdruck sein Gesicht. Mit einem Mal fügte sich alles zusammen. Mit großer Klarheit sah er den Weg. Lächelnd befahl er Bocconcello: »Bring mich zu dem Engländer. Jetzt sofort.«
Bocconcello brachte den Dogen hinab zu den Verliesen. Der Engländer hockte in einem sicheren Gefängnis. Dort gab es keine Fenster, nicht einmal eine Tür. Gefangene wurden an einem Seil in das finstere Loch hinabgelassen, in das niemals ein Sonnenstrahl dringen konnte. Die Wände waren feucht und glatt. Unmöglich, dass ein Mensch dort hinaufkletterte.
Der Doge leuchtete mit einer Fackel hinunter. Kein Zweifel, er war es.
Als er Faliero erkannte, sprang er sofort auf.
Die Fackel warf ein gespenstisches Licht auf das Gesicht des Dogen, als er hinunterrief: »Wie auch immer Euer Name sei, bei uns heißt Ihr nur
der Engländer
. Es ist mir eine besondere Freude, dass Ihr mir nun ein zweites Mal ins Netz geratet. Dieses Mal gibt es kein Entkommen.«
Der Blick des Engländers zeigte kaum Unsicherheit, sondern fixierte Faliero fest. »Wir haben eine Vereinbarung. Ihr habt mir Euer Wort gegeben.«
Falieros Lächeln war eiskalt. »Für einen Mörder und Verräter gibt es kein Ehrenwort, weil es für ihn auch keine Ehre gibt, Engländer. Schon einmal wurdet Ihr in
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