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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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auf dem Seil und antwortete: Was soll ich mit einem Meer und einem Streifen Land? Wozu soll es mir nützen? Der Doge – oder Vater – schwebte weiter neben mir und sprach: Im Meer sind Fische als Nahrung, und auf dem Land kannst du ein Haus bauen. Ein Haus wäre schön, erwiderte ich, doch in diesem Augenblick flog ich zu den Sternen, die sogleich erloschen. Es herrschte eine furchtbare, erbarmungslose Finsternis. Ich befand mich in einem endlosen, mich vollständig umschließenden schwarzen Nichts. In meinem ganzen Leben war ich nie so entsetzlich verloren gewesen. Die Schwärze sog mich auf.
    Nun ertönte ein furchtbares Krachen, als splittere Holz, das Seil zerriss unter meinen Füßen, und während ich ins Bodenlose stürzte, nein schwebte, hörte ich plötzlich eine weitere Stimme, und jemand rief meinen Namen:
    »Cailun!«
    Wird man jäh aus dem Schlaf gerissen, dann weiß man oft nicht, in welcher Welt man sich befindet. Ist es noch der Traum? Oder schon Wirklichkeit? In diesem Fall wusste ich es ganz genau. Die Männer, die die Tür eingetreten hatten und nun hereinstürmten, waren mitnichten Traumgespinste. Sie waren aus Fleisch und Blut, rissen William und mich grob aus dem Bett, fesselten uns, und noch ehe wir ein Wort fanden, zerrten sie uns schon nach draußen. Sie stießen uns in einen Kahn, der sich auf dem schmalen Kanal sofort in Bewegung setzte, nicht lange, dann bogen wir auch schon in den Rio de Palazzo, der bis unmittelbar hinter den Dogenpalast führte.
    »Was soll das?«, stieß William schließlich verängstigt hervor. »Ist es wegen des Mantels?«
    Er wusste nicht, was sich am Vortag zugetragen hatte. Mir wurde heiß und kalt. Welcher Teufel hatte mich geritten, als ich annahm, Falieros Schwärmerei für mich könne den Dogen über meine Beleidigung hinwegsehen lassen? Hatte ich tatsächlich geglaubt, sein Lachen über meine Tat bedeute, dass ihn mein Speichel auf seinen Schuhen lediglich amüsierte? Und warum nur war ich danach auch noch zu feige gewesen, William darüber zu berichten? Meine Dummheit und Gedankenlosigkeit konnten uns das Leben kosten!
    »Ich habe gestern den Dogen beleidigt«, flüsterte ich zurück.
    »Du hast was …?« William blickte mich entsetzt an. »Warum sagst du mir das erst jetzt? Wir hätten die Stadt sofort verlassen müssen!«
    »Ruhe!«, blaffte einer der Soldaten. »Den Gefangenen ist es untersagt zu sprechen.«
    Sie zerrten uns aus dem Boot und stiegen mit uns hinunter an einen Ort, der nur eins sein konnte: der Schlund der Hölle.

    Ein schweres Gitter wurde hochgestemmt. Darunter war ein schwarzes Loch.
    »Nimm das Seil«, befahl mir einer der Schergen.
    Ich sah ihn ängstlich an. »Wo ist William?«
    Ein zweiter Mann hielt eine Fackel, deren Widerschein über feuchte Backsteinwände flackerte. »Wenn du es nicht gleich nimmst, werf ich dich einfach so hinunter.«
    Hastig langte ich nach dem Tau.
    »Halt es gut fest.«
    Ich umklammerte das Seilende.
    Die Männer deuteten hinunter ins Loch. »Wenn du unten bist, lass wieder los.«
    Panisch schüttelte ich den Kopf.
    »Wird’s bald?«
    Der Mann mit der Fackel lachte. »Oder willst du dir das Genick brechen – ist vielleicht sogar die bessere Wahl.«
    »Nicht hinunterwerfen«, stammelte ich. Ich kroch zum Rand. Unter mir war nichts als Finsternis. Doch ich hatte keine Wahl. Zitternd hangelte ich mich an dem Seil hinab. Und gelangte damit auf den Boden des pechschwarzen Abgrundes meines Traums.

53
    Aluicha weint
    A luicha sonnte sich wie die Schlange auf dem warmen Stein im süßen Gefühl der Rache, das den Hass überdeckte, der wie eine eiskalte Woge über sie gerollt war. Ihr Gemahl hatte sein Urteil selbst gefällt – wie konnte er es wagen, sie so zu demütigen? Die Ehre der Gradenigos war unantastbar. Wer sie verletzte, musste dafür büßen, basta. Sie konnte es nicht dulden, dass es eine andere neben ihr gab, schon gar nicht eine Ausländerin, die mit ihrer exotischen Schönheit dem Dogen den Kopf verdrehte. Natürlich würde sie sich auch an dieser
puttana
rächen, doch alles zu seiner Zeit. Zuerst sollte Faliero die Rechnung bezahlen.
    Sie war sich im Klaren darüber, dass ihr Handeln seinen Tod bedeuten konnte. Natürlich brüsteten sich die hochgestellten Venezianer mit ihren teuren Kurtisanen und Konkubinen, und die meisten Frauen nahmen es stillschweigend hin. Aber eine Gradenigo nicht. Niemals.
    Aus den Augenwinkeln betrachtete sie zufrieden Faliero, der Filippo Calendario zum Frühstück

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