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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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ordnen und überlegte, wie sie beginnen sollte. Dann zündete sie die Kerze an und tauchte die Feder in die Tinte. Für geraume Zeit war das Kratzen des Gänsekiels auf dem Pergament das einzige Geräusch zu dieser nächtlichen Stunde. Nun war sie fertig. Vorsichtig hob sie das Papier, blies darüber und las noch einmal den Text. Ein böses Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie unterschrieb mit ihrem vollen Namen, denn ohne Signum war der Brief wertlos. Anonymität konnte allzu leicht den Nährboden für Verleumdung bieten. Mit einem zufriedenen Nicken faltete sie den Brief, tropfte Wachs darauf und drückte mit ruhiger Hand ihr Siegel hinein. Nun erhob sie sich, warf den Mantel über, steckte das Schreiben in eine Gewandfalte und lief durch die dunklen Gänge die Treppen hinunter zum Eingang. Sie nickte dem Wächter zu, zog die Kapuze tief ins Gesicht und verließ den Palazzo. Ungesehen erreichte sie die Porta della Carta am Ende des Palasthofs. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den Gerichteten, der zwischen den beiden Marmorsäulen immer noch am Galgen baumelte, und stieß angewidert die Luft aus, als sie der süßliche Gestank des Todes erreichte. Vor der
bocca di leone
zögerte sie einen Augenblick. Das Bronzerelief mit dem zu einer grotesken Grimasse aufgerissenen Maul grinste sie an. Sie las die Inschrift:
Für geheime Anschuldigungen gegen diejenigen, die ihre Einkünfte durch Täuschung und Verbrechen geheim halten wollen.
Ein weiteres kaltes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Brief in das Löwenmaul fallen ließ.
    »Nichts mehr kann jetzt aufgehalten werden«, flüsterte sie dabei kaum hörbar und fügte spöttisch hinzu: »Liebster.« So sehr war sie dabei in ihrem Hass gefangen, dass ihr eine wichtige Tatsache entging: Falieros Ende konnte auch ihren Niedergang bedeuten.

    Faliero hatte einen Alptraum. Er befand sich im Markusdom und kniete vor dem Patriarchen, der rezitierte:
Der Kuss sei ein Zeichen, das Euch zum Stellvertreter San Marcos auf Erden macht.
Gerade beugte er sich vor, um die Reliquie des heiligen Markus tatsächlich zu küssen, da verwandelte sich diese in ein brüllendes, mit Zähnen und Klauen bewehrtes Ungeheuer mit Drachenhaut und spie einen alles vernichtenden Feuersturm. Faliero erwachte mit einem Schrei, der zwischen den dunklen Wänden hallte. Er war schweißgebadet, sein Herz schlug bis zum Hals. Er konnte den Feueratem des Untiers immer noch spüren und riechen, und erst langsam gelang es ihm, seine Panik niederzuringen. Er warf die Decken von sich, setzte sich schwer atmend auf, kam dann unsicher auf die Beine und taumelte zum Fenster. Der Hof lag schwarz unter ihm, der Schatten des Gehenkten tanzte im Nachtwind zwischen den Marmorsäulen. Eine dunkle Gestalt, selbst wie ein Schatten, schien vor der
bocca di leone
zu schweben. Bestimmt wurde ein Brief hineingeworfen, und vielleicht schon morgen lag eine Anschuldigung auf seinem Tisch. Der Rat würde zusammentreten, um zu entscheiden, wie mit dem Beschuldigten zu verfahren sei.
    Langsam drehte Faliero sich um. Er durchquerte den Raum, entzündete ein Licht und setzte sich in einen der beiden Sessel. Zunächst fiel es ihm schwer, den Alptraum zu verdrängen, doch dann setzte die Gedankenflut wieder ein, die seit Tagen in seinem Kopf wogte und die er mit gehörigen Mengen Wein besänftigte, damit er nachts an Schlaf auch nur denken konnte. Obwohl alles nach Plan verlief, wurde er ein ungutes Gefühl nicht los. Seit dem Morgen diskutierte Venedig über das spurlose Verschwinden der beiden Senatoren Grimani und Vendramin. Die Gerüchte flogen nur so umher, und unter den vielen, die kein noch so fantasievolles Detail ausließen, befand sich auch das eine oder andere, das der Wahrheit gefährlich nahekam. Sei’s drum, er hatte handeln müssen und das Richtige getan. Er war kein Zauderer und durchaus in der Lage, schmerzhafte Entscheidungen schnell und effektiv zu treffen. Als Schachspieler bemühte er gern den Vergleich, die Aufgabe der Bauern bestand eben gerade darin, dass sie geopfert wurden.
    Mehr Sorge bereitete ihm da schon sein Weib. Er kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, wozu sie fähig war. In ihren Augen hatte der blanke Hass gelodert. Faliero wurde mit einem Mal selbst wütend. Warum posaunte diese rothaarige Hexe das heraus, was vor Aluicha ein Geheimnis bleiben musste? Es war purer Undank! Da hofierte er diese dahergelaufene
strega
nach allen Regeln der Verführungskunst, als sei sie die

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