Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
Vom Netzwerk:
Augenblick schwang jene Tür auf, über die ein Himmel voller Wesen gemalt war, die beides sein konnten, Engel oder Dämonen. Ein kleinwüchsiger Mann wuselte gekrümmt in den Saal, als ducke er sich unter einem Pfeilregen. Vor dem Olivenäugigen richtete er sich auf, nur so vermochte er, die hohle Hand ans Ohr seines Gegenübers zu heben. Ich hörte sein Flüstern wie das Rascheln von Papier. Dann sahen beide zu mir herüber. Im Blick des Boten lag Neugierde, der Senator hingegen wirkte enttäuscht. Mit einer überheblichen Geste befahl er die anderen fünfzehn herbei. Sie steckten die Köpfe zusammen, um zu beraten. Von Zeit zu Zeit trafen mich ihre kalten Blicke. Ich musste mit einem Mal an Cei denken, der den Drachen getötet hatte und ein Jahr lang durch ein steinernes Meer gewandert war. Was wohl aus ihm geworden war, in dieser Stadt? Und dann fiel mir Hans von und zu Aposteln ein, der erklärt hatte, wie die Welt funktioniert, und dafür zuerst zum Bettler wurde, bevor der Inquisitor ihn fand und hinrichtete. Oder Cosmas, der böhmische Geschichtenerzähler und Lügner, der beste Falschspieler aller Zeiten, der einfache Knochenwürfel in ein Wunder Jesu verwandelte. Und dann sah ich meinen Vater, wie er den Dolch hob und zustach, und derselbe Dolch wurde zu jenem Messer, mit dem meine Mutter mich aus ihrem eigenen Leib schnitt.
    Während die hohen Herren mein Schicksal berieten, zog sich mein Herz zusammen, und eine Sehnsucht breitete sich in mir aus, dass ich glaubte zu zerspringen. Nie hatte ich deutlicher gespürt, welch verlorenes Leben ich führte. Alles war unnütz und immer mit dem Tod behaftet. Es gab keinen Ort für mich, und die Seelen, die meinen Weg kreuzten, waren auf ewig verdammt.
    William, dachte ich verzweifelt. Da formierten sich die Räte neu auf ihren Plätzen, und der erste Mann unter ihnen straffte die Schultern, um zu sprechen.
    »Der Doge, Marino Faliero, hätte doch alles gewusst!«, warf ich ein, bevor er sprechen konnte.
    Beinahe entschuldigend erklärte der Ratsvorsitzende: »Der Engländer hat alles gestanden und alle Schuld auf sich genommen.«
    »Welcher Engländer?«, rief ich.
    »Der, den du deinen Vater nennst. Du bist frei. Geh, wohin du willst.«
    »Ich gehe nirgendwohin ohne William!«, schluchzte ich. »Wo ist er?«

56
    Über den Spieltischen
    B ald wusste ich, wo er war – aber zuerst traute ich meinen Augen nicht.
    Der Campanile, von den Venezianern
el paron de casa,
der Herr des Hauses genannt – so hatte Faliero mir einmal erklärt, als ich noch in seiner Gunst stand –, erfüllte dreierlei Funktionen. Er diente als Wach-, Leucht- und Glockenturm. Mit einem Schmunzeln hatte er hinzugefügt: »Und wohl auch als Wegweiser für die Besoffenen.« Oben auf dem Turm befanden sich seit Neuestem auch Kanonen: Sollten die Genuesen es nur wagen, Venedig anzugreifen, die Kugeln der Geschütze würden sie in Stücke reißen. Von den fünf Glocken in der Glockenstube kündige die
trottiera
den Beginn einer Sitzung des Großen Rates an, eine andere, die
nona
, erklinge stets zur Mittagszeit. »
Maleficio
, wie die kleinste der Glocken heißt«, so hatte der Doge mit einem mahnenden Blick auf mich erklärt, »will wohl niemand läuten hören, wenn er selbst betroffen ist. Ihr Klang ertönt beim letzten Gang der zum Tode Verurteilten vor ihrer Hinrichtung auf der Piazza.«
    Als ich, noch verdutzt über meinen Freispruch und die sofortige Entlassung aus der Kerkerhaft, von einem Diener durch einen Seitenausgang des Palazzos auf den Markusplatz geführt wurde, empfing mich ein strahlender Tag. Die Piazza badete in der Sonne. Der Lärm, das Geschrei der Händler und Kunden, das Rattern von Rädern, die Flüche der Fuhrknechte schienen mit Händen greifbar. Es herrschte ein beispielloser Trubel. Etwas ratlos stand ich da, während der Diener wartete. Mein Augenmerk wurde auf eine Ansammlung von Schaulustigen gelenkt, die lachend und schreiend zur Spitze des Campanile zeigten. Dort hing an einem Galgen etwas, das in der Sonne blinkte. Erst als ich meine Augen beschattete, erkannte ich, was es war.
    »Ein Käfig, mit einem Tier darin – da oben?«, murmelte ich ungläubig zu mir selbst. Doch der Diener hatte es gehört und auch verstanden.
    »Kein Tier«, antwortete er. »Ein Mensch.«
    Das war unglaublich! Ein Mensch hing in einem Käfig zwischen Himmel und Erde! »Warum …?«, stotterte ich.
    »Normalerweise werden fluchende Mönche oder untreue Ehemänner dort oben

Weitere Kostenlose Bücher