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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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zu.«
    Ich war verwirrt. »Was?«
    »Du und dieser William – ihr seid die Komplizen des Mörders.«
    »Warum …?«, begann ich und hielt gleich wieder inne, als ich die Logik verstand. Natürlich mussten sie glauben, William und ich hätten zur Ermordung des Dogen unseren Teil beigetragen. Wären wir sonst dort gewesen, als es geschah? Meine Knie zitterten noch stärker. Sie würden mir nie glauben, dass ich die Wahrheit sprach. Ich biss mir auf die Lippen, blickte auf die sechzehn Männer, die mich mit versteinerten Mienen maßen, und versuchte es trotzdem: »Ich sah meinen Vater das allererste Mal in meinem Leben in jenem schrecklichen Moment, als der Mord geschah.«
    Der Mann mit dem Januskopf wandte sich zur
signoria,
und es sah aus, als drehe sich ein Berg von mir weg. Er sprach zu ihnen so leise und schnell, dass es klang wie trommelnder Regen. Ich verstand kein einziges Wort. Ungeachtet der fremden Worte wusste ich dennoch, dass es nur um eins ging: um mein Leben.
    Schnaufend drehte sich der Berg zurück. Die Narben der einen Gesichtshälfte kamen mir mit einem Mal vor wie ein Abbild der Kanäle, die diese Stadt durchfurchten. Seine Augen waren so hell, dass sie leer wirkten. Er japste beim Sprechen, so dass ich Angst bekam, er würde ersticken. Oder es hoffte. »Du hast eine Nacht mit ihm im Kerker verbracht.«
    »Ich weiß nicht, ob es Nacht war oder Tag. Es war so dunkel, dass ich die Hand vor den Augen nicht sah.«
    Er überging dies. »Worüber habt ihr gesprochen?«
    »Über alles. Über meine Mutter und ihn. Nach meiner Geburt hatte er mich in ein abgelegenes Kloster gebracht, wo ich von den Nonnen erzogen wurde. Erst vor kurzem erfuhr ich von der Äbtissin, dass mein Vater wahrscheinlich noch lebt. Also lief ich weg, um ihn zu suchen.«
    »Und fandest ihn in Prag.«
    Ich schüttelte den Kopf: »Da wusste ich noch nicht, dass er es war. Ich sah nur einen Mann, der einen anderen erstach und dann floh. Erst hier im Gefängnis erkannte ich, wer er wirklich war.« Ich blickte in reglose Gesichter, wie aus Stein gemeißelt. Alles, was ich erzählt hatte, kam mir mit einem Mal selbst unwirklich vor. Säße ich an ihrer Stelle – kein Wort würde ich glauben.
    Nun erhob sich einer aus der Reihe der
signoria.
Er war klein, schmal und geduckt und wirkte wie ein Hund, bei dem man nicht weiß, ob er mit dem Schwanz wedeln oder zubeißen wird.
    »Sag mir eins …«, begann er.
    Nie hätte ich einer solchen Erscheinung diese Stimme zugetraut. Sie war klar, männlich, vibrierend wie aus dem Klangkörper eines edlen Instruments.
    »… wie ist es möglich, dass nun auch noch folgender Zufall geschah …?«
    Alle warteten. Er war ein Meister jener Theatralik, die oft kleinen Männern zu eigen ist. Seine Kunstpause zog sich in die Länge, und das Publikum hielt den Atem an – und gerade in dem kurzen Augenblick, als es ihn wieder ausstoßen wollte, stellte er fest: »Du behauptest, du hättest ihn nie zuvor gesehen. Prag war also ein Zufall. Erkläre uns doch, warum dann Venedig kein Zufall sein sollte. Schließlich kamt ihr alle zusammen hier an.« Er grinste und bleckte dabei sein löchriges Gebiss.
    Ich sollte die Wahrheit sagen. Nun denn. Hier war sie also: »Beim Würfelspiel gewann mein Gemahl den Mantel des heiligen Markus. Er ist Reliquienhändler. Also kamen wir hierher, in die Stadt, die San Marco als ihren Schutzheiligen benennt, um die Reliquie dahin zu bringen, wo ihre Bestimmung liegt.«
    »Beim Würfelspiel?«
    »Tres canes«,
bestätigte ich nickend. »Dreimal die Eins. Wer die drei Hunde würfelt, hat gewonnen. So lautet die Regel für das Spiel.«
    Wortlos tauschten sie Gesten. Man sagt, die Venezianer wären Meister des Handels. Meine Augen flogen hin und her. Es war bereits eine Art von Folter, wie sie mit Blicken mein Schicksal verhandelten. Verzweifelt rief ich: »Warum ist der Doge nicht anwesend? Ihm habe ich alles anvertraut, und er weiß, dass ich die Wahrheit spreche und nichts Böses im Sinn habe!«
    Mit einem Mal waren die Blicke anders. Lauernd? Fragend? Bestätigend? Das Feuer der Panik brannte mit einem Mal lichterloh in mir. Ich wusste nichts mehr anderes, als zu rufen: »So sagt mir doch endlich – was wirft man mir vor?«
    Als der Hund sprach, wurde mir klar, dass er nicht mit dem Schwanz wedelte, sondern zubiss. Er bleckte sein Gebiss und knurrte: »Die Anklage lautet: Mithilfe beim gemeinen Mord am Dogen Pietro Dandolo. Sowie Verschwörung gegen die Serenissima.«
    In diesem

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