Die Knochentänzerin
war zweifelsohne eine stattliche, wahrhaft königliche Erscheinung, und wäre es auch ohne die kaiserlichen Insignien gewesen.
Faliero gähnte verstohlen. Er hasste es, warten zu müssen, und es war genau das eingetreten, was er Dandolo prophezeit hatte. Wegen der anhaltenden Flaute hatten sich die böhmischen Schiffe um beinahe einen halben Tag verspätet. Sein Vorschlag, erst loszufahren, wenn ein Bote die Ankunft der Gäste meldete, war abgelehnt worden – es sei unhöflich, den Kaiser nicht standesgemäß und nach venezianischer Tradition auf dem Meer zu empfangen. Die Folge war, dass man in brütender Hitze auf die Böhmen wartete, und dabei buchstäblich im eigenen Saft kochte.
Das vertraute Panorama kam in Sicht – der spitze Zeigefinger des Campanile über den Dächern, das runde Vielgestirn der Domkuppeln, die Prokuratien im Viereck des Markusplatzes, gefüllt mit Venezianern, die den Kaiser bejubeln wollten.
Als das Schiff anlegte, erhob sich der Doge. Faliero schnaubte verächtlich. Dandolo breitete huldvoll die Arme aus, als würden die Jubelrufe, die sich nun erhoben, ihm gelten. Auch der Kaiser stand auf, doch bei ihm sah es würdevoll und wahrhaft ehrerbietig aus. Es hatte nichts Beifallheischendes. Fanfaren erklangen, und alle verließen das Schiff. Der Doge würde nun den kaiserlichen Gast durch das Spalier der Menschen in den Palast geleiten. Am Abend standen eine Messe und ein Festmahl auf dem Programm, bei beidem würde der Adel der Serenissima zugegen sein – die
signoria,
Senatoren, Prokuratoren, der Kanzler, er selbst – und natürlich der Gastgeber: Pietro Dandolo. Doch bis dahin blieb noch Zeit. Faliero wollte sie nutzen.
Der Rummel auf dem Markusplatz kam ihm zugute. Trotz seines Festgewands konnte er fast unbemerkt in die Menge eintauchen und sich zu seinem Palazzo treiben lassen. Dort befahl er dem Leibdiener, einfache Kleidung bereitzulegen – dunkle Beinlinge, ein graues Untergewand aus grob gewebtem Leinen, einen unauffälligen, dunklen Überwurf.
Wenig später verließ er seinen Palazzo wieder und befahl dem Gondoliere, zum
teren del geto,
der Gießerei mit den Kupferöfen, zu rudern, wo vornehmlich die neuartigen Kanonen gegossen wurden, mit denen ein Großteil der venezianischen Flotte Stück für Stück ausgerüstet werden sollte. Faliero interessierte sich im Augenblick allerdings weder für die Kanonen, noch wollte er einen der immer häufiger auf der Insel wohnenden Juden aufsuchen.
Der Gondoliere legte an einem Steg am Canal di Cannaregio an, und Faliero kletterte aus dem Boot. Die Mauer, die das
teren del geto
umgab, war neu, man hatte sie hochgezogen, als mit dem Gießen der Kanonen begonnen worden war, bei denen es sich um geheimes Kriegsgerät handelte. Faliero steuerte nach rechts auf das große Torhaus zu und betrat die Anlage der Gießerei. Er passierte verschiedene Judenhäuser und ärgerte sich über die wachsende Zahl jüdischer Kaufleute und Geldverleiher. »Blutsauger«, murmelte er im Vorbeigehen, »wenn ich Doge bin, werde ich euch hier ausräuchern.« Natürlich wusste er, dass die prekäre Finanzlage der Stadt und der allgemeine Geldmangel auch unter den Bürgern Schuld an der wachsenden Zahl der Juden trugen. Die Pest hatte zum Niedergang des Handels geführt, und so war dem Großen Rat nichts anderes übrig geblieben, als Maßnahmen zu ergreifen. Eine dieser Maßnahmen war die dauerhafte Zulassung jüdischer Pfandleiher gewesen, die zunächst täglich vom Festland nach Venedig fahren mussten. Doch inzwischen erhielten immer mehr von ihnen die Genehmigung, in diesem abgetrennten Viertel Venedigs Häuser zu bauen.
Faliero überquerte den
campo
und bog in eine Seitengasse. Dort blieb er vor einem schmalen Haus stehen, das offenbar in die Lücke zwischen die beiden angrenzenden Gebäude gesetzt worden war. Er ergriff den Türring und schlug ihn gegen das dunkle Holz. Dann trat er, ohne eine Reaktion abzuwarten, in den dunklen Hausflur und stieg eine schmale Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk.
Gentile Alberti, der Mann, der hier wohnte, war kein Jude. Ein Schild am Haus besagte, dass er mit Wein aus Dalmatien handelte, deshalb stand im Erdgeschoss ein halbes Dutzend Fässer. Die Gewinne aus dem Weinhandel waren jedoch gering, Albertis Bedauern darüber ebenso. Der Handel diente seiner Tarnung. Seine tatsächliche Profession war auf keinem Schild zu lesen, und niemand, außer den wenigen Eingeweihten, kannte sie. Gentile Alberti war ein Mitglied
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