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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Weile druckste er herum, dann gab er sich einen Ruck. »Du weißt, ich handle mit Reliquien …«
    Ich nickte. »Und weiter?«
    »Du selbst hast mir die Frage gestellt: woher man weiß, welche Knochen echt sind und welche nicht.«
    »Ja.«
    »Darüber habe ich nachgedacht.«
    »Erzählst du mir, zu welchem Schluss dein Nachdenken dich gebracht hat?«
    Wieder nickte er. »Kein Mensch würde die Echtheit einer Reliquie in Frage stellen, wäre sie mit einem schön geschriebenen Zeugnis – natürlich in lateinischer Sprache – und einem Siegel versehen.«
    Meine Augen wurden schmal. »Worauf willst du hinaus?«
    Er rutschte auf der Truhe hin und her. »Nun, du kannst beides.«
    »Beides?«
    »Ja. Du bist schreibkundig und beherrschst Latein.«
    Ich schnappte nach Luft. Mit einem Mal begriff ich sein Ansinnen. Entrüstet sprang ich auf. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich die Komplizin eines Grabräubers werde, eine Fälscherin!«
    Er winkte lässig ab. »Reg dich nicht auf. Es war bloß so eine Idee. Darf ich nicht sagen, was mir durch den Kopf geht?«
    »In diesem Falle nicht.«
    Er erhob sich von der Truhe und schüttelte den Regen aus seinem Gewand. »Ich gehe jetzt zurück in meinen Schafspferch. Denk in Ruhe nach. Stell dir vor – du und ich – Reliquien mit Echtheitszeugnissen – wir würden ein Vermögen verdienen.«
    »Ich sagte
nein

    William der Erste grinste nur. Dann verschwand er aus meiner Kammer. Der Regen trommelte wieder stärker gegen die Mauern. Und der Sturm heulte um die Burg.

    Am nächsten Morgen schwieg der Wind, und der Regen hatte aufgehört. Zunächst empfand ich das Fehlen von beidem als bedrohlich. Ich lag im grauen Licht in einer leeren Kammer hinter mit Moos überzogenen Wänden und lauschte ängstlich nach draußen. Stand die Welt still? Hielt sie den Atem an, weil etwas geschehen war, das sie hatte innehalten lassen?
    Bald schalt ich mich eine Närrin und haderte mit meinem seherischen Wesen, das mir schlimme Geschehnisse vorhersagen wollte, nur weil es nicht regnete und stürmte. Hatte es nicht auch ebenso ruhige Tage auf Icolmkill gegeben, mit ähnlich trübem Licht und gleicher Stille? Was machte diese Stille hier lastender?
    Bald wusste ich es.
    Lord Eachann von Colbhasa persönlich erschien. Er klopfte an meiner Tür, betrachtete mich wohlgefällig und blinzelte dann verschwörerisch.
    »Komm!«, forderte er mich auf und winkte fröhlich. »Ich will dir etwas zeigen.«
    »Was denn?«
    »Komm!«, wiederholte er ungeduldig. Er trug dasselbe scharlachrote Samtgewand wie tags zuvor, dort, wo er sich das Hammelfett abgewischt hatte, glänzten dunkle Striemen. Der Widderkopf mit den vergoldeten Hörnern fehlte zwar, doch stattdessen zierte ein goldenes Band sein fleckiges Greisenhaupt.
    Ich folgte ihm hinunter auf den Hof und von dort durch das Tor hinaus auf die Hochfläche über den Klippen.
    »Dorthin, zu den Felsen.« Eine seiner Krallenhände zog mich in die von ihm gewünschte Richtung. »Gleich wirst du sehen, was ich alles für dich tue.«
    Wir bogen um einen mannshohen Granitblock. Vor uns lag eine von Felsen eingefasste Grasfläche. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, dann erfasste mich ein Schwindel. Speere steckten im Kreis, mehr als zwei Dutzend. Und auf den Speeren …
    »Siehst du.« Lord Eachann von Colbhasa ließ seinen Arm einen stolzen Halbkreis beschreiben. »Du hast gesagt, du willst einen Jüngeren als mich zum Heiraten. Hier sind die Jüngeren. Nun kannst du selbst entscheiden: Willst du einen von ihnen? Oder nicht doch lieber mich? Denn ich bin jetzt der Jüngste.«
    Gelähmt vor Entsetzen starrte ich auf das grausige Bild. Auf jedem Speer steckte ein Kopf. Ich sah die vor Schrecken aufgerissenen Augen und die zu einem letzten Schrei geöffneten Münder der Enthaupteten. Das Blut im Gras unter den Häuptern war dunkel und frisch. Panik erfasste mich.
    Noch einmal stieß ich einen schrillen Schrei aus. Dieser befreite mich aus meiner Starre.
    So schnell ich konnte, rannte ich.

11
    Faliero gibt die Macht in andere Hände
    F aliero saß neben den anderen Senatoren an Deck der Barkasse, beschattete mit der flachen Hand die Augen und blickte aufs Meer. Die Ankunft Karls des Vierten, deutscher und böhmischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, hatte sich bisher unspektakulär gestaltet. Da seine Schiffe die flache Lagune der Serenissima nicht befahren konnten, musste er draußen vor den Inseln auf ein venezianisches Boot mit geringem

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