Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
Vom Netzwerk:
glaube ich nicht.«
    »Aha. Gibt es einen Grund, warum du mich eine Lügnerin nennst?«
    »Das tue ich nicht. Aber zufällig weiß ich, dass so etwas verboten ist. Ich war in England und sah mit eigenen Augen, wie ein Mönch bei lebendigem Leib verbrannt wurde, den man wegen genau dieses Vergehens verurteilt hatte: Er hatte begonnen, die Heilige Schrift ins Englische zu übertragen – und damit Gott gelästert. Die Leute erzählten, es gäbe nichts Schlimmeres als eine Verunstaltung der Heiligen Schrift durch von Menschen gewählte Worte als Ersatz für die göttlichen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »So ist es bei Matildas Bibel nicht. Seine Exzellenz Bischof William der Dritte von Orkney stellte sich höchstpersönlich als Administrator zur Verfügung und genehmigte das Werk im Namen der Kirche.«
    »Warum sollte er das tun?«
    »Eine solche Bibel wäre ein einzigartiges Zeugnis für die herausragende Stellung des Ordens Sancti Benedicti auf Icolmkill. Außerdem hat Bischof William der Dritte eben seinen eigenen Kopf – er ist der Einzige, der seit Beginn seines Amtes dem Papst die Abgabe des Peterspfennigs verweigert.«
    Die Zähne des Knochendiebs glänzten im Dämmerlicht. »William der Dritte«, wiederholte er grinsend. »Der Bischof trägt meinen Namen.«
    »Ich würde sagen, eher umgekehrt«, entgegnete ich schnippisch. Es störte mich, dass er an meinen Worten zweifelte, wenn auch nicht ganz unberechtigt.
    »Schon gut«, gab William der Erste sich versöhnlich. »Ich frage mich nur, warum deine Äbtissin so etwas tut. Es ist nicht nur gefährlich, sondern bestimmt auch noch ein Haufen Arbeit.«
    »Aus tiefer Frömmigkeit?«, überlegte ich laut, doch da ich Matilda kannte, fügte ich hinzu: »Und zu ihrem Ruhm vielleicht und dem des Klosters.« Ich wollte zum eigentlichen Thema – nämlich
meinem
Ruhm – zurückkehren. »Jedenfalls wurde jeder Strich, den ich malte, von ihr mit Argusaugen überwacht. Bevor sie eine Seite weggab, damit Schwester Elisabeth die Initialen mit Blattgold und gemalten Blumengirlanden verzieren konnte, prüfte sie tausendmal jedes geschriebene Wort. Es durfte bloß nicht geschehen, dass Scribulus auch nur einen Fehler fand.«
    »Scribulus? Ein schreibkundiger Mönch?«
    Ich lachte in der Dunkelheit. »Nicht doch. Scribulus, der Schutzdämon der Kalligraphie. Er sammelt alle Fehler in einem Sack, den er zum Teufel schleppt. Dort, beim Satan, werden sie ins Buch der Irrtümer geschrieben. Beim Jüngsten Gericht wird jeder Fehler gegen den Schreiber verwendet.« Stolz warf ich mich in die Brust und verkündete. »Doch bei mir blieb Scribulus’ Sack stets leer, und statt Satan mit Fehlern zu beliefern, musste er sich bald in Kirchen herumtreiben und sich damit begnügen, die Namen der Frauen in ein Buch zu schreiben, die während der heiligen Messe schwatzten.«
    »Diesen Scribulus«, zweifelte William, »gibt es ihn wirklich?«
    »Aber ja doch.« Ich lachte in mich hinein. »Wie sonst, glaubst du, könnte eine Schreiberin so sorgfältig arbeiten? Nichts ist wichtiger als ein Dämon als Wächter im Skriptorium. Stell dir vor – es ist bitterkalt, das Licht reicht kaum aus, um einen Buchstaben vom anderen zu unterscheiden, und du bist müde und erschöpft von den vielen Stunden am Schreibpult. Was also könnte dich antreiben, die brennenden Augen noch mehr zusammenzukneifen, alle Sinne trotz bleierner Müdigkeit noch einmal und immer wieder auf dieselbe Schrift zu lenken?« Ich gab mir die Antwort selbst: »So etwas bringt man nur zustande, wenn man sich beobachtet fühlt, und zwar von einem, der allein eine Aufgabe hat: alle deine Fehler zu sammeln, damit der Teufel sie in der Hölle gegen dich verrechnet.«
    William schwieg, und zwar so lange, bis ich ungeduldig wurde und fragte: »Worüber denkst du nach?«
    Es verstrich nochmals geraume Zeit, bevor er vorschlug: »Ein Engel wäre aber doch besser.«
    Nun war es an mir, nachdenklich zu sein. »Nein«, antwortete ich schließlich. »Engel sind für andere Dinge zuständig als für Fehler im Skriptorium. Glaub mir. Und außerdem …« Ich pausierte, bevor ich die Frage stellte, die mir mit einem Mal durch den Kopf ging: »Erklär mir doch, wie es kommt, dass dich die Arbeit an einer Bibel so brennend interessiert?«
    Ich sah, wie er den Kopf wiegte. »Es ist weniger die Arbeit an der Bibel«, gab er schließlich zögernd zu.
    »Was ist es dann mehr?«
    »Es geht um die Kunst des Schreibens an sich.«
    »Aha. Und weshalb?«
    Eine

Weitere Kostenlose Bücher