Die Knochentänzerin
Tiefgang umsteigen. Dieses wurde von achtundfünfzig Ruderpaaren angetrieben und war beflaggt mit dem böhmischen Löwen und dem geflügelten Löwen Venedigs, in dessen Pranken die Bibel geöffnet war, denn eine geschlossene Heilige Schrift hätte bedeutet, die Serenissima befände sich im Krieg. Dies war im Augenblick nicht der Fall. Noch nicht.
Pietro Dandolo, der neue Doge, begleitet von Mitgliedern des Großen Rats, war mit an Bord, um dem hohen Gast einen gebührenden Empfang zu bereiten. Bei dem Gedanken an den neuen Dogen senkten sich Falieros Mundwinkel verächtlich. Dandolo mochte sich prunkvoll kleiden und mit allen Insignien seines Amtes schmücken – und trotzdem würde er nie das darstellen, was Faliero sich unter einem Dogen vorstellte. Dandolo war ein Repräsentant der Serenissima – so etwas wie ein Ausstellungsstück, weiter nichts. Er konnte schön reden und seine Ansprachen in würdevolles Auftreten kleiden. Doch für Faliero war er lediglich eine leere Hülse, ohne Ehrgeiz, Ambitionen oder den Willen, etwas anderes zu tun als seine offizielle Aufgabe zu erfüllen. An Macht blieb ihm so gut wie nichts – einzig der Oberbefehl über Venedigs Flotte –, doch was bedeutete das schon in Friedenszeiten. Wie Dandolo eine solche Macht im Kriegsfall nutzen würde, war schon wieder eine andere Frage. Wenn ich erst einmal Doge bin, schwor Faliero sich stets, dann werde ich das Amt wieder zu dem machen, was es früher einmal war: nämlich die alleinige, uneingeschränkte Herrschaft über die Serenissima. Für nichts anderes stand das Wort
Doge.
Es war abgeleitet aus dem Lateinischen
duce.
Führer. Dandolo war nichts dergleichen. Er war bloß ein Vogel im goldenen Käfig.
Faliero sah, wie sie an den Inseln vorbeiglitten. Ein ganzer Schwarm Boote begleitete sie. Außerhalb des Kreises, den die Begleitschiffe aus Venedigs Kriegsflotte um die Staatsbarkasse zum Schutz bildeten, schwammen unzählige Boote mit Schaulustigen, die klatschten, sangen und Hochrufe skandierten. Das Schiff fuhr unter vollem Segel, obwohl sich kein Windhauch regte. Doch jeder sollte wenigstens das prachtvolle rote Segel mit dem goldgestickten geflügelten Löwen sehen.
Pietro Dandolo thronte auf einem Podest im Prunkstuhl des Dogen. Zu Ehren des hohen Staatsbesuchs trug er sein Krönungsgewand – möglicherweise auch in Ermangelung anderer Kleidung, die aufgrund seiner kurzen Amtszeit noch nicht fertiggestellt war. Der
corno ducale,
ein steifer, kronenartiger Hut mit Metallring und hornförmiger Spitze – eine Mischung aus Herzogshut und Fischerkappe – saß über der Leinenmütze auf seinem Haupt. Über dem Untergewand, zusammengehalten von einem schmalen Gürtel mit goldener Schnalle, trug er den traditionellen
bavaro,
einen weiten Umhang mit Hermelinkragen und den
campanoni d’oro,
den auffallenden Goldknöpfen.
Ihm gegenüber hatte Karl der Vierte, der Kaiser des Römischen Reichs auf einem ähnlichen Thron Platz genommen. Faliero beobachtete den königlichen Gast unauffällig. Sie kannten einander von einem Treffen in Venedig, das vor mehreren Jahren stattgefunden hatte. Faliero erinnerte sich noch sehr gut. Genauso wie die Serenissima wollten die Böhmen damals jenen Engländer und seine Komplizin, eine Irin, fangen, die den Mordversuch am Dogen unternommen hatten. Faliero war nie ganz klargeworden, warum auch Karl hinter den beiden her war. Irgendetwas war zwischen ihm und dieser Irin vorgefallen, das stand außer Zweifel. Schließlich hatte
er,
Faliero, die beiden geschnappt. Manchmal fragte er sich, wie sie die Dummheit hatten begehen können, nach Venedig zurückzukehren. Sie wurden zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das Urteil fiel ihm, dem damaligen Richter, zunächst nicht leicht. Die Irin war ein Prachtweib. Nur zu gerne hätte er sie selbst besessen. Doch sie wies ihn ab. Insofern war ihre Hinrichtung doch eine große Genugtuung für seinen verletzten Stolz. Eigentlich war es ein Jammer, ehrlich gesagt konnte nicht einmal seine jetzige Hure, Felicia, über die man tuschelte, sie sei die schönste Frau Venedigs, dieser feuerhaarigen Schönheit das Wasser reichen. Es gab Tage und vor allem Nächte, da spukte ihm diese Irin immer noch im Kopf herum. Auch Karls Blick damals an der Richtstätte war an ihm haftengeblieben. Was hatte er darin gelesen? Bedauern? Etwa gar Liebe und Trauer?
Der Böhme war natürlich älter geworden, in sein dichtes schwarzes Haar schlich sich erstes Grau. Doch er
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