Die Knochentänzerin
der
nobilita nera,
des gefürchteten Geheimdienstes Venedigs, der wie eine Spinne sein unsichtbares Netz weit über die Serenissima hinaus gewebt hatte. Die Aufgaben waren vielschichtig und glichen sich trotzdem immer wieder. So hieß es, die Gedanken der Feinde Venedigs zu kennen und schädliche Pläne zu vereiteln. Gleichzeitig galt es, die eigenen Interessen und Geheimnisse zu schützen. Eines der bestgehüteten Geheimnisse der Serenissima war die Glasbläserkunst Muranos. Immer wieder gab es Verräter, die versuchten, aus ihrem geheimen Wissen Kapital zu schlagen. Keinem von ihnen war es bisher gut bekommen. Dies war unter anderem das Verdienst des Mannes, der offiziell Weinhandel betrieb.
Gentile Alberti war Meister im Aufspüren von Menschen, die sonst niemand finden konnte. Dies lag daran, dass er sich in die Gedanken der Gesuchten schlich. Bevor er seine Fänger ausschickte, brachte er alles in Erfahrung, was es über seine Opfer zu wissen gab – und Opfer waren sie letztlich ausnahmslos. Jede Kleinigkeit bezog er in seine Überlegungen ein, kein Detail tat er als unwichtig ab. Am Ende kannte er den Gesuchten – selbst wenn er diesen nie vorher gesehen hatte – meist besser als dessen eigene Familie. Und noch eine Eigenschaft trug zu seinem Erfolg bei: Er konnte gnadenlos grausam sein. Den letzten Verräter Muranos hatte er auf eine Weise gestellt, die selbst dem abgebrühten Faliero Schauer den Rücken hinuntergejagt hatte. Alberti fand rasch heraus, dass der gesuchte Glasbläser ein krankes Kind hatte, für dessen Heilung er viel Geld brauchte. Der verzweifelte Vater wusste keinen anderen Weg, als die verbotene Flucht aus Murano, um das Glasbläsergeheimnis irgendwo zu barer Münze zu machen. Aus einem, wie er glaubte, sicheren Versteck heraus versuchte er Venedig zu erpressen: Bezahlt die Heilung meines Kindes, oder ich verrate das Geheimnis. Das Versteck war leicht gefunden. Doch auch der verzweifelte Vater war nicht dumm, er hatte sich in die Obhut Genuas begeben, in der Gewissheit, dass dieser Erzfeind Venedigs sich nie zu einer Auslieferung bewegen lassen würde. Doch Alberti war noch klüger. Er holte sich das Kind. Dann begann er grausige Botschaften an den Vater zu verschicken. Erst eine Haarlocke, dann ein ganzes Fingerglied, schließlich ein Ohr. Ein Auge. Als Letztes, bevor sich der verzweifelte Vater selbst stellte, den rechten Fuß.
Faliero bewunderte die Vorgehensweise seines Spions so sehr, dass er in seinem Urteil in Bezug auf Grausamkeit nicht nachstehen wollte. Die Hinrichtungsart sollte beweisen, dass er Alberti das Wasser reichen konnte. Als Beispiel für alle, die ähnliche Gedanken hegten, ließ er den Verräter vierteilen und Körper und Gliedmaßen des Gerichteten am Galgen zwischen den zwei Marmorsäulen aufhängen.
Nun kam Alberti mit seinem typischen, leicht schleppenden Gang Faliero entgegen und reichte ihm zum Gruß die Hand. Faliero wunderte sich immer wieder, wie harmlos der Spion aussah. Er war der perfekte Wolf im Schafspelz – klein, schmal, mit kurzen dunklen Haaren und einem ebensolchen Bärtchen. Nichts an seinem Gesicht fiel auf, weder die leicht gebogene Nase noch der normal dimensionierte Mund und auch nicht die graublauen Augen, die einen leicht schläfrigen Eindruck vermittelten. Doch das täuschte. Alberti war stets hellwach.
Er führte seinen Gast in eine enge Stube. Durch ein schmales Fenster fielen schräge Lichtstrahlen, in denen der Staub tanzte. Es gab nichts, außer einem Tisch, auf dem ein Krug stand, drei Stühle und eine Truhe in der Ecke.
»Was verschafft mir die Ehre?« Alberti wies auf einen Stuhl. Dann verließ er kurz den Raum und kam mit zwei Bechern zurück.
»Ich brauche deine Dienste.«
Alberti nickte und goss Wein in die Becher. »Wieder ein Glasbläser? Der letzte ist eine Weile her. Weißt du noch? Er hatte einer Komplizin die Flucht aus Murano ermöglicht. Seine eigene Frau verriet ihn.«
Faliero erinnerte sich noch ganz genau, obwohl es lange her war. »Der Mann wurde damals nicht hingerichtet. Ich verhängte eine andere Strafe über ihn, die ihn härter traf als der Tod.«
Alberti nickte. »Der Henker schnitt ihm die Zunge heraus und schlug ihm beide Hände ab. So konnte er das Geheimnis weder in Wort noch in Schrift verraten.«
»Trotzdem war es deine erste und einzige Niederlage.«
»Ja. Bedauerlicherweise habe ich die Frau nie gefunden.« Sie hoben die Becher und tranken. Faliero ergriff als Erster wieder das Wort.
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