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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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es jetzt?«, hakte ich ungeduldig nach.
    »Vielleicht. Aber ich kann es nicht glauben. So wie es aussieht, sind wir im anderen Meer gelandet.«
    »Es gibt noch ein anderes Meer?«
    »Ja. Sieh her.« William nahm ein Ruder und tauchte es ins Wasser. Mit dem Blatt malte er einen Umriss auf die Bootsplanken.«
    »Es sieht aus wie ein Hasenkopf.«
    Er deutete links davon. »Hier waren wir vor dem Sturm.« Nun deutete er auf die rechte Seite. »Jetzt sind wir hier.«
    Ich wunderte mich. »Woher weißt du das?« William hielt das Ruder nach hinten. »Land!«, rief ich erfreut, als ich die Felsen sah.
    »Wenn die Sonne da ist«, nun wies er nach oben, »das Land aber dort, dann gibt es keine andere Möglichkeit. Der Sturm hat uns einmal um ganz Schottland herumgetrieben.«

16
    Refektorium, Kapelle und Schlafsaal in einem
    N achdem wir unser Schiff dem Hafen überlassen hatten, prahlte William mit seiner Ortskenntnis: »Hier war ich schon einmal. Der Ort heißt Inbhir Nis, denn an dieser Stelle fließt der Nis ins Meer.«
    Ich war zu erschöpft und zu hungrig, um ihm zu erklären, dass mir die Bedeutung des gälischen Wortes
inbhir,
Mündung, natürlich ebenso geläufig war wie ihm. »Weißt du auch, ob es hier ein Kloster gibt?«, fragte ich und ließ meinen Blick über die Stadt schweifen. »Ich sehe nur eine Burg.«
    William ließ seinen dürren Zeigefinger wandern. »Sliabh Michael. So heißt der Berg dort drüben. Er ist nahe am Fluss. Siehst du die Abtei? Es ist kein großes Kloster, doch warum nicht klein beginnen?«
    Wir machten uns auf den Weg. William hatte die Lasten gerecht verteilt. Er trug den heiligen Donnan von Eigg sowie die Hände von Maria und Josef. Das von mir gefälschte Zeugnis ihrer Echtheit lag verborgen unter seinem Hemd auf seiner Brust. Mir war die Ehre zuteil, den Rest der Knochen zu schleppen.
    »Halt!«, befahl William plötzlich und blieb stehen.
    Ich gehorchte. Wir befanden uns in einer schmutzigen Gasse. Zwei Kinder hockten im Dreck, ein Hahn stolzierte zwischen seinen drei Hühnern herum. »Warum bleiben wir stehen?«, fragte ich müde.
    William betrachtete versonnen meine Haare. »Du hast es selbst gesagt. Die müssen weg. Es gibt keine Frauen als Gesandte des Bischofs.«
    »Ich warte draußen vor dem Kloster.«
    »Bist du nicht hungrig?«
    Er hatte recht. Wieder einmal. »Ich hab noch meine Nonnenhaube, unter der ich die Haare verstecken …«‚ schlug ich vor, doch William schüttelte den Kopf.
    »Ein Gesandter des Bischofs mit einer Nonnenhaube. Dass ich nicht lache. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken.«
    Das runde Gesicht einer Frau schob sich aus einem Fenster über der Gasse. In einem Dialekt, den ich nicht verstand, schrie sie den Kindern etwas zu. Diese blickten zu William und mir herüber, sprangen auf und liefen in das Haus.
    »Ich könnte die Haare unter etwas anderem verbergen.«
    William winkte ab. »Sie sind viel zu lang und dicht. Als hättest du Feuer auf dem Schädel. Ich muss sie stutzen.«
    »Ich werde dir nicht erlauben, meine Haare …«
    »Cailun.« William seufzte. »Glaub mir, mir ist es auch schade darum. Haare wachsen wieder. Aber jetzt muss ich was davon abschneiden. Danach kannst du den Rest verstecken. Ich opfere mein zweites Hemd dafür. Wir machen ein Kopftuch daraus.«
    Alle meine weiteren Proteste waren nutzlos. Schließlich musste ich es selbst einsehen. Es gab nur einen Weg für mich in dieses Mönchskloster. Und bald wehte der Wind meine roten Haarsträhnen davon, als tanzten Flammen durch die Gasse hinunter zum Meer.

    Die Klosterpforte entsprach dem sprichwörtlichen schottischen Geiz. Als hätte der Tischler mit Holz gespart, begann die Tür erst eine Handbreit über dem Boden, dafür endete sie auch ebenso weit unter dem Türstock. Auf Williams Klopfen hin geschah erst nichts. Dann, nach geraumer Zeit, vernahmen wir ein Schaben wie von nackten Füßen auf Stroh. Und tatsächlich – ein barfüßiger Mönch öffnete, wobei das Wort Mönch beschönigend wirkte. Vielleicht beherbergte das Kloster auch einen besonders armen Bettelorden. Um welchen es sich handelte, konnte ich jedenfalls aus dem löchrigen, kuttenartigen Überwurf, der das Mönchlein bedeckte, nicht erschließen. Klein war der Mann in der Tat, sein Umfang jedoch groß – so arm konnte man also doch nicht sein, wenigstens zu essen gab es anscheinend genug.
    Ich warf William einen Blick zu, der besagen sollte, dies sei wohl nicht der Ort für ein erfolgreiches Reliquiengeschäft.

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