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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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seufzte. »Also gut, ich sag’s dir. Klöster und Kirchen wollen Reliquien, denn heilige Knochen tragen zum Ruhm eines Konvents oder Bistums bei.«
    »Warum probierst du es nicht zuerst auf einer der Inseln?«
    »Es gibt genau zwei Inseln mit Klöstern oder Kirchen. Die eine ist Orkney, da kommt der heilige Donnan her. Die andere ist Icolmkill, da ging er hin. Verstehst du also, warum ich aufs Festland will?«
    Ich musste zugeben, das war einleuchtend. Ebenfalls verstand ich, dass die gefundenen Knochen auf Deck zum Trocknen ausgelegt werden mussten. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass mir der Anblick der händehaltenden Skelette eiskalte Schauer den Rücken hinuntersandte. Meinen Einwand, die Knochen jagten mir Angst ein, ließ William nicht gelten. Stattdessen drückte er mir das Ruder in die Hand und befahl mir, das Schiff gut auf Kurs zu halten. Dann hockte er sich neben die Skelette, zog sein Messer aus dem Gürtel und begann, das Moos von den Knochen zu schaben.
    »Wie kamen sie wohl da hin?« Ich stellte die Frage, die mich beschäftigte, seit wir die Knochen in der Kapelle gefunden hatten.
    »Wer?«
    Ich nickte mit dem Kopf in Richtung der Skelette. »Die beiden.«
    William zuckte mit den Schultern und schabte weiter.
    Natürlich beflügelten vor allem die sich haltenden Knochenhände meine Fantasie. Auf Icolmkill predigten die Nonnen stets von der Liebe zu Gott dem Herrn und zu Jesus Christus. Die ineinander verschlungenen Knochenfinger kündeten von einer anderen Art von Liebe. Ich musterte William von der Seite. Ob er dasselbe dachte? Mein Herz klopfte, als ich sprach: »Sie hielten einander an den Händen, als der Tod kam.«
    »Hm.« Williams Interesse an einer Unterhaltung schien gering.
    Ich hakte nach: »Irgendwie ist es doch auch schön«, träumte ich laut. »Zwar sind sie tot, aber wenn man schon sterben muss, dann ist es doch tröstend, dabei die Hand eines geliebten Menschen zu halten. Ich glaube, das waren sie bestimmt: Liebende. Zusammen sind sie jetzt im Himmel, und ihre Liebe wird ewig währen.«
    William blickte für einen Moment zu mir, doch schien er mit seinen Gedanken woanders.
    »Woran, glaubst du, sind sie gestorben?«
    »Pest«, brummte er, ohne aufzusehen.
    Vor Schreck ruckte ich am Ruder. Das Schiff schwankte und legte sich auf die Seite.
    »Teufel!«, rief William erschrocken und versuchte die Knochen, die nach links schlitterten, an Ort und Stelle zu halten. »Kannst du nicht geradeaus fahren?«
    »Die Pest«, konnte ich nur entsetzt wiederholen. »Wir werden sterben!«
    »Blödsinn«, knurrte William. »Höchstens, wenn du das Schiff zum Kentern bringst.«
    Ich schwenkte das Ruder herum. Schon schaukelten wir in die ursprüngliche Richtung, und die Skelette rutschten Hand in Hand nach rechts. William fluchte und krabbelte hinterher. Endlich fuhren wir wieder geradeaus auf altem Kurs.
    »Seit fünf Jahren ist niemand mehr an der Pest gestorben«, schimpfte William und bedachte mich mit einem finsteren Blick.
    Immer noch zitterten mir die Knie. Zu anschaulich hatte mir Oberin Matilda erklärt, was der Schwarze Tod anrichtete. »Wie kannst du dir so sicher sein, dass uns die Knochen nicht mit der Pest anstecken?«
    Williams Seufzen war mir inzwischen bekannt. Immer dann bekam ich es zu hören, wenn er mir nur allzu deutlich meine Beschränktheit demonstrieren wollte. »Weil Knochen niemanden anstecken können«, erklärte er mir mit so übertriebener Geduld, als wäre ich eine dem Totenreich der Elfen Entflohene. Dann fügte er hinzu: »Sag mir lieber, wie ich die Hände der beiden lösen kann. Ich krieg sie nicht auseinander.«
    »Warum willst du sie voneinander lösen«, fragte ich mit zittriger Stimme.
    »Weil …« Er hielt inne und dachte nach. Deutlich konnte ich sehen, dass ihn plötzlich ein Einfall heimsuchte, den er für hervorragend hielt. Ein Strahlen, das mich rührte, leuchtete auf seinem Gesicht, und er rief aus: »Ja – warum eigentlich?« Fieberhaft begann er mit seinem Messer zu arbeiten. Schließlich hatte er die Hände von den Unterarmknochen gelöst und hielt sie mir hin. »Maria und Josef!«, wiederholte er dabei immer wieder mit einer mir unverständlichen Begeisterung. »Maria und Josef! Verstehst du?«
    »Nein.«
    »Warte!« Hektisch begann er im Knochensack des heiligen Donnan von Eigg zu wühlen. Er klaubte ein mit Edelsteinen besetztes Armband heraus und schlang es um die Knochenhände. Wieder hielt er mir alles hin und schwenkte es

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