Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Gesichtspunkten organisiert war und in der nur dunkle oder weiße Gewänder gefertigt wurden, noch nie eine Schneiderwerkstatt betreten. Mit großen Augen staunte sie über die vielen Farben und unterschiedlichen Kleidungsstücke, die sie jetzt zu sehen bekam.
»Was ist deine Lieblingsfarbe?«, fragte Franziska sie.
Maria musste nicht lange überlegen. »Blau wie der Himmel.«
»So etwa?« Franziska hielt einen Streifen gefärbten Leinens hoch. »Oder lieber etwas heller? Ungefähr so?« Sie zeigte ihr ein anderes Stück. »Sieh doch selber!« Franziska schob Maria einen Korb zu, in dem Stoffreste in allen Farben fröhlich durcheinanderlagen. »Na los, greif zu!« Sie begann selbst zu wühlen und Maria verschiedene Reste um den Hals zu legen und in die Hand zu drücken. »Das ist eine von Mutters Lieblingsfarben. Sehr gediegen und zurückhaltend, aber ein wunderschöner Stoff. Fühl nur!« Sie drückte Maria fein gesponnenen Wollstoff in die Hand. »Der kommt von weit her, aus Flandern, und ist ziemlichteuer. Gefällt er dir nicht? Dann … wie wäre es damit?« Das nächste Stück nahm im Gegenlicht einen leichten Grünschimmer an. »Angeblich ist es sehr schwer, diese Farbe herzustellen. Sie wird auch nicht so oft gebraucht. Magst du sie?« War Maria zu Beginn von Franziskas überschäumender Begeisterung noch überrascht und beinahe verstockt gewesen, so fing das ganze nun an, ihr Spaß zu machen. Beide knieten neben dem Korb und nahmen ein Stück Stoff nach dem anderen in Augenschein. Franziska schleppte einen weiteren Korb an und schließlich noch einen Sack, dessen Inhalt Nele den Näherinnen schenken wollte, die für jeden noch so kleinen Stoffrest dankbar waren.
Maria sah ihrem Bruder sehr ähnlich. Ihr Gesicht war ebenmäßig und von heller Farbe. Ihr Haar glänzte golden, und ihre Augen waren von noch tieferem Blau als die Ludwigs. Ihre Arme und Beine waren lang, und auch durch den unförmigen Klosterrock konnte Franziska erkennen, dass die Taille der neuen Freundin schmal war, Hüften und Büste aber volle Rundungen zeigten. Maria sollte ein Kleid bekommen, das ihrem eigenen in nichts nachstand, beschloss sie. Sie würden wie Schwestern auftreten und Neles Werkstatt alle Ehre erweisen. Ein wenig boshaft freute sie sich bei dem Gedanken, wie sie alle anderen Frauen auf der Hochzeitsfeier ausstechen würden.
»Jetzt hab ich es«, sagte Franziska. »Wir suchen einen Stoff, der genau die Farben deiner Augen hat.« Sie kramte weiter in den Resten und hielt schließlich ein Stück Leinen und ein Stück Seide an Marias Gesicht. »Das ist es! Wir nähen dein Kleid aus diesen beiden Stoffen. Fühl nur mal die Seide auf deiner Haut. Ist das nicht wie ein Märchen? Wenn ichkönnte, würde ich nichts anderes tragen! Und dazu machen wir …« Sie plapperte fröhlich vor sich hin und erklärte genau, wie sie Kleid, Mieder, Hemd und vielleicht noch einen leichten Umhang nähen würde.
»Das Mieder ist ja immer das Wichtigste, finde ich, weil da alle hinglotzen, Männer wie Weiber. Deshalb muss es besonders schön sein«, sagte Franziska. Maria sah sie fragend an.
»Ach so, ich will es dir erklären. Meine Mutter kann die herkömmlichen Cotten, die schnurgerade bis zum Boden fallen und mit einem Gürtel irgendwie in Form gehalten werden, nicht ausstehen und ich ebenso wenig. Um die zu schneidern, braucht es weder Kunstfertigkeit noch Phantasie. Wir arbeiten deshalb so wenig wie möglich nach der alten deutschen, sondern lieber nach der burgundischen Mode und das bedeutet, ein fest anliegendes Mieder wird über einem Hemd mit schönem Kragen getragen und geht in einen fließenden Rock über. Weitgereiste Leute haben uns bestätigt, dass die Damen in Frankreich und Italien diese Mode ebenfalls bevorzugen, deshalb sind Mutters und auch alle meine Kleider nach ihr gefertigt. Mein Festtagskleid hat sogar einen Faltenrock, und dein Kleid machen wir genauso, du wirst staunen, wie schön du aussehen wirst!«
»Aber die Hochzeit ist doch schon bald. Wie soll das Kleid denn bis dahin fertig werden?«, fragte Maria.
»Das lass nur die Sorge unserer Näherinnen sein. Du wirst sehen, die können zaubern, wenn es sein muss. Jetzt lass uns aber ins Lager laufen und die Stoffe suchen.«
Sie zog die neue Freundin mit sich und zeigte ihr Neles Stofflager. Marias Augen leuchteten angesichts der prachtvollen Farben und der hohen Regale voller Stoffballen. Neben den dunklen Geweben, die die meisten Menschen trugen, sah sie
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