Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
sie und Maria angewiesen hatte, das Geld aus den beiden Verstecken in ihre Kleider zu nähen. Sie hatten gehorcht und trugen die Münzen nun bei sich.
»Gib mir zwei von den Goldmünzen«, bat Hermann. Franziska sah ihn verwundert an. »Ich muss den Henker bestechen. Ich will nicht ertrinken.« Franziska gehorchte und versuchte, sich ihr Grauen vor dem bevorstehenden Geschehen nicht anmerken zu lassen, als sie zwei Goldstücke aus ihren Kleidern fischte. Stumm nahm Hermann sie entgegen und verstaute sie in seiner Hosentasche.
Die letzten Tage waren strahlend schön gewesen und wirkten wie Hohn auf die Unglücklichen, deren Schicksal sich in so kurzer Zeit so zum Schlimmen verändert hatte. Heute jedoch hing der Himmel voller pechschwarzer Wolken. Seit den frühen Morgenstunden regnete es in einem fort, und kalte Windböen fegten durch die Straßen. Große Pfützen behinderten die Fußgänger, und der Unrat aus den Haushalten trieb in den unzähligen Rinnsalen durch die Gassen der Stadt.
Die Hinrichtung war für Mittag angesetzt, und trotz des unfreundlichen Wetters säumten Schaulustige dicht gedrängt den Weg, den das Opfer bis zu seiner Richtstätte zu gehen hatte.
Umringt von den Gefängniswachen wurde Hermann aus dem Kerker geführt. Der Tross setzte sich in Bewegung. Scheinbar in sein Schicksal ergeben schritt der Rosshändler zwischen den Soldaten den Weg zum Stadttor und zur untersten Flussbrücke. Man hatte die Brücke gewählt, die für eine solche Hinrichtung am geeignetsten erschien, einen massiven Bau unterhalb des Stadttores, einige hundert Fuß oberhalb der Stelle, an der die Moldau in einer scharfen Biegung Richtung Norden strömte. Ein Priester stakste hinter dem Verurteilten einher und murmelte eine endlose Litanei aus Gebeten. Hermann ging barfuß. Nur seine Beinkleider und das Unterhemd hatte man ihm gelassen, da das Gewicht von Oberkleid und Schuhen ihn zu schnell in die Tiefe des Wassers ziehen würde. Franziska und Maria folgten dem Zug und hielten sich so nah sie konnten an den ausschreitenden Männern. Sie trugen große Tücher um Kopf und Schultern gelegt, zum Schutz vor dem Regen, aber auch vor den Blicken der Schaulustigen. Nele war entkräftet vor wenigen Stunden zusammengesunken, und die Vermieterin hatte darauf bestanden, dass sie das Bett hütete. Zitternd wie Espenlaub hatte sie unter den Decken gelegen, als die Mädchen das Haus verließen.
Viel zu schnell gelangten sie an die Brücke. Sie war solide errichtet, aus schweren Balken und dicken Brettern, breit und stark genug für beladene Fuhrwerke. Als eine der ersten Brücken Böhmens war sie so hoch gebaut worden, dass sie auch bei außergewöhnlichem Hochwasser begehbar war und nicht wie andere Stege überflutet wurde. Beim derzeitigen Wasserstand schwebten ihre Planken zehn Fuß über dem Wasserspiegel. Das hölzerne Geländer erhöhte das Bauwerk um nochmals drei Fuß. Die Moldau war oberhalb von Budweis ein klares Gewässer, reich an Fischen und Krebsen und zur Viehtränke wie auch zur Trinkwasserentnahme geeignet. Kurz hinter der Stadt, die ihren Unrat sowie die Exkremente von Mensch und Tier in das Flussbett leitete, warsie eine trübe, braune und an vielen Tagen stinkende Brühe. Etwas oberhalb der Brücke befanden sich obendrein die Werkstätten der Gerber und Färber, die ihr Übriges zu Verschmutzung und Geruch taten.
Es war üblich, dass man dem Verurteilten letzte Worte zugestand, und je nachdem, ob er sich mannhaft oder weinerlich zeigte, gar vor Gott und der Welt seine Unschuld beschwor oder seine Missetat bereute, erntete er anerkennendes Murmeln oder verhöhnende Pfiffe. Nicht selten wurde ein Verbrecher mit Abfall und Kot beworfen, während er seine letzte Rede hielt. Hermann schüttelte nur kaum merklich den Kopf, als man ihm das Rederecht gewähren wollte.
Über der Flussmitte, wo das Wasser am tiefsten und gefährlichsten war, hatte man vorsorglich ein Stück des Brückengeländers entfernt. Jetzt führten zwei Wachen Hermann an diese Stelle. Die Henkersschlinge trug er schon seit dem Aufbruch aus dem Gefängnis um den Hals, und das zusammengerollte Seil lag um die Schulter eines weiteren Bewaffneten. Der Brauch sah vor, dass der Henker fragte, ob der Mann zu Recht verurteilt war, und wenn der Vogt dies bejahte, würde er die Strafe umgehend vollstrecken. Der Mann mit dem Seil schickte sich an, die nötige Seillänge abzuschätzen, um das freie Ende anschließend am Geländer festzubinden. Alle Augen
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