Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
blickten auf den Henker und den Vogt, die gleich die Stimme erheben und laut und tragend die letzten Worte sprechen würden, die der Delinquent auf Erden hören sollte. Die Menge schwieg, auch die Wachen und der Mann am Seil sahen zunächst den Henker an. Schließlich räusperte dieser sich gewichtig und geräuschvoll und begann zu sprechen.
»Ist dieser …« Ein Aufschrei ging durch die Menge. Hermann war in die Tiefe gesprungen und hatte eine der überraschten Wachen mit sich gerissen. Das Seil, das eben noch im Arm seines Trägers gelegen hatte, wickelte sich blitzschnell ab und segelte dem Verurteilten hinterher.
In den braunen Wellen strampelte der Wächter in Todesangst. Sein Brustpanzer und das umgegürtete Schwert zogen an ihm wie ein Wassergeist, der ihn zu sich holen wollte.
Über Hermann schlossen sich die Wellen. Er versuchte, mit seinen Beinen so viele kräftige Stöße wie möglich zu machen, bevor er den Kopf an die Oberfläche strecken und Luft holen musste. Nur zwei oder drei tiefe Atemzüge gönnte er sich, bevor er wieder untertauchte. Er spürte den Bolzen einer Armbrust, der dicht neben ihm in die Wellen fuhr. Seine Lungen brannten, sein Kopf hämmerte, doch mit der Entschlossenheit der Verzweiflung blieb er unten und spürte, wie ihn die Strömung mit sich zog. Das Wasser war dunkel und undurchsichtig, und sein Geschmack ließ Hermann übel werden. Noch einmal tauchte er für wenige hastige Atemzüge auf. Er wusste, er hatte eine Chance, mit dem Leben davonzukommen, und der Schmutz und das schlechte Wetter konnten ihm dabei helfen. Bald schon würde der Fluss schmaler und reißender werden und Hermann würde mit ihm an eine Biegung gelangen, mit scharfkantigen Felsbrocken, Strudeln und Untiefen zwar, doch konnte er ab dieser Stelle riskieren, an der Oberfläche zu schwimmen und seinen Verfolgern so zu entkommen.
Weitere Bolzen landeten in seiner Nähe, doch nicht dicht genug, um ihn ernsthaft zu gefährden. Hermann blieb weiter unter Wasser, solange er es vermochte. Mit einem Malwurde die Strömung reißender. Strudel zogen an seinen Kleidern, und seine Knie und Schultern schlugen schmerzhaft gegen Steine und dazwischen verkeilte Baumstämme. Er konnte nicht mehr feststellen, in welche Richtung er nun trieb, nicht einmal, wo oben und unten war. Die Fluten rissen ihn mit sich. Um ihn herum war nichts als Wasser, wildes, dunkles Wasser. Plötzlich spürte er Gestein unter seinen Füßen. Er stieß sich ab und versuchte aufzutauchen, doch ein heftiger Ruck stoppte ihn. Das Seil hatte sich irgendwo verhängt und die Schlinge zog sich nun gnadenlos zu. Mit aller Kraft zerrte er an dem straff gespannten Strick, doch er gab nicht nach. Schon glaubte Hermann, nun doch ersaufen zu müssen. Mit letzten Kräften versuchte er, die Schlinge zu lockern. Mit einer Hand hielt er den straffen Strick und mit der anderen versuchte er, den Henkersknoten nach oben zu schieben, während er wild den Kopf schüttelte, um durch die Bewegungen des Nackens die Schlinge zu weiten. Das Hanfseil war durchnässt und aufgequollen und ließ sich kaum bewegen. Rote Sterne und Blitze erschienen vor seinen Augen, und seine Lungen brannten. Doch endlich lockerte sich der Knoten, und ehe sich die Schlinge wieder zuziehen konnte, zwängte er den dicken Schädel heraus. Hastig strampelte er sich an die Wasseroberfläche und ließ gierig Luft in seine brennenden Lungen strömen. Er sah sich um: Er hatte die stadtnahe Flussbiegung durchschwommen, die gefährlichen Untiefen und Strudel passiert, und vor ihm ragten die schützenden Felswände an beiden Seiten des Flusses steil empor. Die Straße befand sich an dieser Stelle ein ganzes Stück vom Ufer entfernt, und um ans Flussufer zu gelangen, musste man sich durch Dickicht kämpfen und über Felsen klettern. Selbst wenn die Wachen ihm unverzüglichnachgerannt wären, wäre er nun nicht mehr einzuholen. Die Moldau war an dieser Stelle nicht befahrbar, und es hatte sich bestimmt niemand freiwillig in die gefährlichen Fluten gestürzt, um ihn zu verfolgen. Hermann zwang sich, ruhig und kräftig durchzuatmen, während er sich von der Strömung weitertreiben ließ.
Zwei Tage lang suchte man den Fluss vergeblich nach seiner Leiche ab. Der Vogt und die Gilde waren überzeugt, dass der unglückliche Rosshändler sein Leben im Fluss gelassen hatte.
*
Zacharias hatte dem Stadtrat unter Eid versichern müssen, dass er das gesamte Geldvermögen Hermanns und Neles herausgegeben hatte und
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