Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Güte, Rochus, was fällt dir ein? Uns so zu erschrecken! Wo kommst du her? Wie viele Jahre haben wir uns nicht gesehen? Fünf? Sechs? Was machst du hier in Venedig? Willst du dich einschiffen?« Karl konnte gar nicht aufhören zu fragen, während er den alten Freund umarmte.
»Ich muss es euch gestehen, Kinder«, sprach Rochus, als Karl ihn endlich zu Wort kommen ließ. »Ich bin alleine euretwegen hier.«
»Unseretwegen? Wie kommt das denn?«
»Ich bin eurer Spur gefolgt. War in Nürnberg, in Wien, wieder in Nürnberg und sogar weit weg in Frankreich. Ratet wo!«
»Doch nicht bei Ludwig? Wie geht es ihm?«
»Es geht ihm gut. Es scheint ihm nur ein wenig langweilig zu sein. Er ist eben ein Friedensunterpfand seines Königs, und das weiß er auch. Aber er muss einem wahrhaft nicht leid tun, schließlich wollte er es ja so.«
»Wenn es an der Zeit ist, werden wir zu ihm reisen. Es gibt so viel zu erzählen.«
»Gewiss. Doch wie schon gesagt, ich habe nach euch beiden gesucht.«
»Nun hast du uns ja gefunden. Glückwunsch! Doch sprich endlich, wie kommen wir zu der Ehre?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte. Wollen wir nicht einen Becher trinken, während ich euch alles erzähle?«
»Wir wollten zu Mittag speisen, im Hafen. Komm mit uns.«
Sie erreichten das Gasthaus und nahmen an einem langen Tisch im Freien Platz. An das andere Ende der Tafel setzte sich kurz darauf ein anscheinend älterer Mann, unter dessen Kapuze man nur einen dichten grauen Bart hervorlugen sah und dessen Gesicht im Schatten lag.
Die Freunde bestellten einen Fischeintopf mit Kräutern, dazu Wein und frisches Brot und ließen es sich schmecken. Das Wirtshaus war bekannt für seine Fischgerichte und wurde neben einfachen Menschen auch von wohlhabenden Bürgern mit ihren Damen und sogar einigen Edelleuten aufgesucht. Ansonsten hätte Karl Maria niemals hierhergebracht. Er sorgte sich rührend um sie, wie Rochus mit stiller Freude feststellte.
»Wie erfolgreich seid ihr mit eurem Handel? Ich habe schon von den Knöpfen gehört. Fürwahr, eine gute Idee!«
»Ja, ja«, flötete Karl, »und dabei so praktisch, das freut den großen wie den kleinen Mann. Der Handel läuft recht ordentlich, und unsere Freundin Franziska und die hiesigen Goldschmiede versorgen uns mit allerbester Ware. Aber deswegen hast du uns nicht gesucht, oder? Obwohl, wenn ich deine Kleidung so betrachte …«
»Du hast Recht. Nicht deswegen. Es ist schon ein wenig komplizierter.«
»Lass hören.«
»Ich habe nicht nur Europa bereist, in all den Jahren. Es zog mich wieder nach Osten, über das Meer. Zunächst bin ich nach Zypern gefahren und habe das Grab eurer Mutter besucht. Danach suchte ich nach Kameraden aus der Levante, aus Akkon. Nicht alle waren gefallen, natürlich nicht, sondern viele in alle Winde verstreut. Still und friedlich ist es im Heiligen Land mittlerweile geworden. Es gibt zwar immer wieder kleinere Einfälle der Ilchane, aber im Großen und Ganzen sorgen die Mamelucken für Ruhe. Schade um die reiche Landwirtschaft, die der Krieg zerstört hat. Sie wurde bis jetzt nicht wieder aufgebaut.«
Karl sah ihn fragend an. Warum sprach der alte Freund so seltsam? Irgendetwas wollte er ihnen mitteilen, etwas Wichtiges, und bestimmt nicht nur von seinen Reisen erzählen. Er wartete, bis Rochus wieder das Wort ergriff.
»Schließlich kam ich bis Ägypten, nach Kairo. Ich war dort, als der grausame Krieger und Zerstörer Akkons, der Sultan Chalil, plötzlich starb. Wie es fast zu erwarten gewesen war, wurde er von seinen engsten Vertrauten hinterrücks gemeuchelt. Sein kleiner Bruder Mohammed an-Nasir wurde zum Herrscher ernannt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch ein Kind war. Dennoch hatte der junge Sultan bemerkenswerte und umwälzende Ideen, die den mächtigen Emiren, die das große Land an seiner statt regieren wollten, gefährlich erschienen. Sie drängten ihn alsbald vom Thron und übernahmen die Macht. An-Nasir lebte fortan in einem goldenen Käfig, ein Gefangener im eigenen Palast. Man wagte nicht, ihn zu töten, zu groß waren die Symbolkraft seiner Familie und seine Popularität, doch fürchtete man auch, dass er erstarken und sich der Emire entledigen könnte. Eine höchst angespannte und schwierige Situation für alle, vor allem für den jungen Fürsten. Er hatte nur wenige Freunde und noch weniger Menschen, denen er trauen konnte, und er lebte in der ständigen Angst, eines Tages doch noch beseitigt zu werden. Es gab in Kairo eigentlich
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