Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
nur einen Mann, auf dessen Solidarität er sich verlassen konnte und der seine Zuneigung gewann. Der Mann, der viele Jahre sein Lehrer war.«
»Du? Du hast einen Sultan unterrichtet?«
»Rede keinen Unfug. Ich unbedeutender Wanderer habe nicht den Sultan gelehrt. Ein anderer Mann hat ihn unterwiesen, ein Mann, der ihm seine ganze Zuneigung geschenkthat, die er doch in Wahrheit lieber auf seine eigenen Kinder verwandt hätte. Ein Edelmann, den die Wirren des Krieges an den Sultanshof geführt hatten und der ebenfalls so etwas wie ein Gefangener war.« Er sah plötzlich an den Geschwistern vorbei zu dem Alten am anderen Ende des Tisches. Der Blick der beiden jungen Menschen folgte dem seinen. Plötzlich erhob sich der fremde Mann, trat näher und zog seine Kapuze zurück. Lange und liebevoll sah er auf Maria. Das einst braune Haar war grau geworden, und der früher sorgfältig gestutzte dunkle Bart wallte dicht und fast weiß um sein Gesicht. Er war leichter als in der Blüte seiner Jahre, doch das edle Antlitz und vor allem die klugen Augen waren dieselben geblieben. Maria entfuhr ein kleiner Schrei. Der Mann breitete die Arme aus. »Willst du deinen Vater nicht umarmen, mein Engel?«
Maria starrte Henri reglos an. Sie sah sich wieder an der Reling des Schiffes stehen und ihm zuwinken, bis er immer kleiner wurde und schließlich nicht mehr zu sehen war. Wie lange war das her und wie traurig war sie damals gewesen!
Langsam kam er nun auf sie zu, grüßte Karl mit einem Lächeln und einem Nicken und fasste seine Tochter an beiden Händen. Maria erhob sich, und als sie sah, dass seine Augenwinkel feucht wurden, gaben ihre Knie nach. Henri fing sie auf und drückte sie an sich. Plötzlich drang ein tiefes Schluchzen aus ihrer Brust, und sie schlang die Arme um den so lange tot geglaubten Vater.
*
Rochus hatte in all den Jahren unermüdlich Nachforschungen angestellt. Er war von dem brennenden Wunsch beseelt gewesen, die Wahrheit über alles ans Tageslicht zu bringen, was der Familie seines Herrn vor über zehn Jahren in den Wirren des Falls der letzten Kreuzfahrerfestung widerfahren war. Auf den Schiffen, mit denen er gereist war, in Häfen und unzähligen Schänken gab er Namen und Beschreibungen aller kund, und durch seine Hartnäckigkeit und nicht zuletzt mit dem nötigen Quäntchen Glück war es ihm gelungen, die einzelnen Mosaiksteine zusammenzufügen und das Schicksal Henris und Catherines nachzuzeichnen. Die letzten Informationen hatten ein versoffener Kapitän ohne Schiff, anscheinend ein ehemaliger Pirat, ein tot geglaubter Kundschafter und Henri selbst beigesteuert.
Als sie wieder am Tisch saßen und Maria an der Schulter ihres Vaters lehnte und ihre Tränen langsam trockneten, begann er zu erzählen.
AKKON April 1291
Der junge Gesandte Restwangen war mit demselben Schiff wie Henris Familie nach Zypern gesegelt und hatte die dringenden und wichtigen Gespräche mit Heinrich, dem König von Jerusalem, und dessen Berater in Heinrichs Residenz auf Zypern geführt. Als er die Nachricht erhielt, dass man Akkon mit kümmerlichen zweitausend Mann unterstützen wollte, war er fassungslos und tief enttäuscht wieder nach Palästina zurückgekehrt und hatte umgehend seinen Dienstherrn aufgesucht.
Henri war zunächst erleichtert, als Bero ihm berichtete, dass seine Frau und die Kinder in Sicherheit waren, doch ebenso wie der junge Mann war er entsetzt darüber, als er von dem lächerlichen Umfang der Verstärkung hörte, die sie erwarten durften. »Europa hat das Heilige Land aufgegeben, so einfach ist das«, sagte er zu Bero. »Zu teuer, zu weit weg und sinnlos, dort Krieg zu führen, wenn sich zugleich auch zwischen den Reichen schon wieder die Lage zuspitzt. Der Papst hat zu wenig Macht, er musste sich den Königen fügen.«
»Ich habe den Auftrag, morgen Kundschafter auszusenden und zu berichten, wie viele Tage die Truppen von Sultan Chalil noch entfernt sind. Lange kann es nicht mehr dauern, bis die Belagerung der Stadt beginnt«, fuhr er fort.
Bero richtete sich auf. Mit dem Eifer eines jungen Kämpfers bat er: »Lasst mich die Mamelucken ausspähen. Ich werde Euch alle Auskünfte liefern. Ich reite noch heute Nacht los.«
Henri lächelte. Der junge Ritter erinnerte ihn an sich selbst, an den Beginn seiner Karriere als Kundschafter und Diplomat. Er nickte. »So sei es, doch ruht Euch zuvor noch ein paar Stunden aus. Nehmt Euch eine Handvoll Männer und macht Euch kurz vor dem Morgengrauen auf den
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