Die Knopfmacherin
befreien könnte. Gibt es denn am ganzen Himmel keinen Engel, der mich erhört?
Als die Pforte ging, richtete sie den Blick wieder auf den Weg. Bernhard trat durch das Tor und hielt erschrocken inne, als sie auf ihn zugelaufen kam und ihm um den Hals fiel.
»Ist etwas passiert?«, erkundigte er sich besorgt.
»Gut, dass du kommst!«, entgegnete Melisande. »Ich dachte schon, ich werde noch verrückt in diesem Haus.«
»War Marga hier?«, fragte Bernhard verwundert.
»Nein, das gottlob nicht. Aber immer wieder hatte ich Bilder im Sinn, schreckliche Bilder. Ich wage mich kaum noch an der Schlafstube des Meisters vorbei. Und ich weiß mittlerweile auch nicht mehr, wie ich Grete trösten soll. Als sie den Sarg gebracht haben, stand es schlecht um sie.«
»Wo ist sie jetzt?«
»In ihrer Kammer. Sie schläft, jedenfalls war es so, als ich das letzte Mal nach ihr gesehen habe.«
»Dann sollten wir ihr vielleicht etwas zu essen machen und ein wenig Gesellschaft leisten. Immerhin stand sie viele Jahre in den Diensten des Meisters, da ist es nur verständlich …«
Ein Knacken an der Pforte ertönte. Sofort wirbelten Melisande und Bernhard herum. Die dunkle Gestalt verharrte einen Moment lang im Torbogen, dann kam sie auf die beiden zu. War das der Mann vom vergangenen Abend?
Bernhard stellte sich schützend vor Melisande, die vor Schreck erstarrt war.
Der Kerl würde doch nicht so dreist sein und sie in Bernhards Beisein angreifen?, überlegte sie.
»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?«
»Ich komme in guter Absicht.« Der Mann hob beschwichtigend seine Hände. »Das Mädchen hinter Euch wird es Euch bestätigen können.«
Als er näher trat, fiel der Lichtschein aus dem Haus auf einen schäbigen Mantel und eine Gugel, die das Gesicht fast vollständig bedeckte.
Der Anblick ließ Melisandes Herz rasen. »Was sucht Ihr hier?«
»Mein Anblick dürfte Euch längst nicht mehr überraschen, junge Brucknerin.« Die Stimme klang ernst. »Ich bin wegen Eurer Schwester gekommen.«
»Was?« Auf einmal war Melisande, als würde sämtliches Gefühl aus ihren Gliedmaßen weichen.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte Bernhard, während er besorgt zwischen Melisande und dem Fremden hin und her blickte.
»Derjenige, der mir gesagt hat, wo ich Alina finden kann.«
»Jo…«
Melisandes Hand schnellte vor und hielt ihm den Mund zu, ehe er etwas verraten konnte. Schließlich wusste niemand, wer in diesem Augenblick an der Werkstatt vorbeiging und lange Ohren machte.
»Gehen wir doch ins Haus«, schlug Joß Fritz vor. »Drinnen lässt es sich besser sprechen.«
Bernhard warf Melisande einen kurzen Blick zu, die mit ihrer Antwort zögerte. Schon einmal war der Rebell in das Haus eines Knopfmachers gebeten worden – was mit einem furchtbaren Blutbad geendet hatte.
Diesmal würden die Bischofsleute dem Haus allerdings fernbleiben. Außerdem habe ich Bernhard auf meiner Seite, beruhigte sie sich.
»Also gut, kommt rein«, sagte Melisande, bevor Bernhard Bedenken anmelden konnte.
Joß Fritz blickte sich noch einmal um, als wollte er sichergehen, dass ihm niemand gefolgt war. Dann trat er nach der jungen Knopfmacherin ins Haus.
Lux Rapp presste sich gegen die Wand des Hauses hinter ihm. Vor lauter Staunen wagte er kaum zu atmen.
Habe ich richtig gesehen?, fragte er sich. War das Joß Fritz? Sollte ich nach all den Tagen und Monaten der vergeblichen Suche endlich Erfolg haben?
Die Gestalt des Mannes, der die Knopfmacherwerkstatt gerade betreten hatte, entsprach der des Aufrührers. Nur was hatte Joß hier zu suchen?
Von dem kurzen Gespräch zwischen dem Gesuchten und den Bewohnern des Hauses hatte er nicht viel mitbekommen. Das Mädchen schien sehr erstaunt gewesen zu sein, ihn hier zu sehen, und der Junge hatte keine Ahnung.
Hatte er etwa um Unterkunft angesucht?
Dem letzten Haushalt, der Fritz Unterkunft gewährt hatte, war das bekanntlich schlecht bekommen. Maximilian Rächer hätte den Teufel getan und ihm das erzählt, aber die anderen Soldaten waren zuweilen schwatzhafter als Waschweiber. Lux wusste nicht genau, um wen es ging, doch es hieß, dass eine ganze Familie ihr Leben verloren hatte.
Rapp widerstrebte es, das junge Paar dem Tod auszuliefern. Genauso sehr missfiel es ihm jedoch, dass der Bischof wahrscheinlich bald seinen Kopf fordern würde, wenn er ihm den Bauernführer nicht endlich brachte. Da er an seinem Leben hing, löste er sich von der Ecke und machte kehrt.
Vielleicht erwischen wir ja den Falschen?,
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