Die Knopfmacherin
zögernd im Türrahmen stehen. »Diese Feengeschichte«, begann er, nachdem er sie eine Weile gemustert hatte.
»Was ist damit?«
»Ich wollte dich damit nicht kränken.«
»Das hast du nicht.«
Der Junge wirkte sichtlich erleichtert, als er wieder ging.
Warum macht er sich Gedanken darum, ob er mich kränken könnte?, fragte sich Melisande. Morgen bin ich doch gar nicht mehr da. Sie löste sich vom Fenstersims und trat an die Kiste. Mit der Schüssel ließ sie sich schließlich auf dem Strohsack nieder. Der Duft der Suppe war angenehm, stimmte sie aber auch wehmütig. Wie gern würde ich hierbleiben, dachte Melisande, als sie das wärmende Mahl in sich hineinschlang. Doch wie sollte sich der Sinn des Meisters ändern?
11. Kapitel
Nachdem er noch einmal alle Türen in seinem Haus überprüft hatte, begab sich Alois Ringhand in seine Schlafkammer. Der Anblick der weißen Laken, die seine Haushälterin frisch aufgezogen hatte, versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. Noch vor drei Monaten hatte ihn hier sein Weib erwartet. Vor dem Spiegel hatte sie immer gesessen und sich das lange Haar gebürstet. Die Jahre hatten Silber in die blonde Pracht gewoben, aber selbst zuletzt, als die zehrende Krankheit sie aufs Lager gezwungen hatte, war sie für ihn immer noch schön gewesen.
Im zweiten Monat des Jahres hatte er sie in die hart gefrorene Erde betten müssen. Seitdem war seine Schlafstube verlassen, wenn er nach seiner letzten Runde durch die Werkstatt hier einkehrte.
Mit einem Schaudern zog er sich bis auf sein Hemd aus. Man spürte deutlich, dass der Winter nahte. Durch alle Ecken und Ritzen des Hauses zog es eisig. In kaum einer Nacht sang ihn nicht das Heulen des Windes in den Schlaf.
Diesmal war ihm aber noch unwohler als sonst in seiner Haut. Geplagt von seinem Gewissen, wälzte sich Ringhand unter der klammen Decke von einer Seite auf die andere.
Das Mädchen ist die Tochter eines Zunftbruders, der gestorben ist, dachte er. Mag er auch nicht in Speyer gelebt haben, so war er doch meinesgleichen. Außerdem bin ich ein Christ, und was würde es schon schaden, wenn ich sie eine Weile hier bleiben ließe?
Wieder blickte er traurig auf die leere Seite des Bettkastens. Was hättest du dazu gesagt, Helene?
Für einen Moment meinte er, ihre Stimme aus der hinteren Ecke der Schlafstube wispern zu hören, aber es war nur der Nachtwind, der ums Haus strich.
Seufzend wälzte er sich aus dem Bett. Vielleicht hilft es, ein wenig durch die Werkstatt zu gehen, dachte er.
Nachdem er eine Kerze entzündet hatte, verließ er die Schlafkammer. Im Haus war alles still. Nur Bernhard schnarchte in seiner Kammer.
Vor der Treppe nach oben entschied sich Ringhand anders. Die Stufen unter seinen Füßen knarrten leise, als er hinaufging. Vor der Kammertür machte er schließlich halt und lauschte. Der Atem des Mädchens war kaum zu vernehmen. Vorsichtig drückte er die Tür auf.
Voll bekleidet und vom Mondlicht beschienen lag Melisande auf dem Strohsack, einen Arm über den Kopf gehoben, den anderen auf der Brust. Halb unter ihrem Körper klemmte das Bündel, das sie bei sich getragen hatte. Das sich unter dem Stoff abzeichnende Rechteck erweckte die Neugier des Knopfmachers.
Ist das ihr Handwerkszeug?, fragte er sich.
Auf Zehenspitzen trat er näher, beugte sich zu ihr hinunter und schob eine feingliedrige Hand unter den Knoten. Er ertastete das Kästchen, versicherte sich kurz, dass das Mädchen weiterhin schlief, und zog es schnell hervor.
Die Einlegearbeit auf dem Deckel schimmerte im Kerzenlicht. Perlmutt, stellte Ringhand fest. Viel zu kostbar für einen Kasten, in dem man Werkzeuge aufbewahrt.
Beim Öffnen des Deckels schnappte er überrascht nach Luft. Kein Handwerkzeug blitzte ihm entgegen, sondern Knöpfe, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Rasch hob er die Kerze vors Gesicht. In der Mitte der Knöpfe glitzerten kleine Kristalle, die von einer Blütengravur eingerahmt waren.
Knöpfe, die einer Patrizierin durchaus gefallen könnten.
Vielleicht sollte ich sie als Lehrgeld verlangen?, überlegte er. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke. Was, wenn das Mädchen diese Knöpfe gefertigt hatte?
Ich sollte sie auf die Probe stellen, beschloss er.
Vorsichtig schob er das Kästchen wieder in das Bündel und verließ die Kammer.
Lux Rapp saß vor dem Fenster der Kammer, in die man ihn nach dem Verhör gebracht hatte. Der Mond stand hoch über Straßburg, doch obwohl seine Rundung beinahe vollkommen war,
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