Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knopfmacherin

Die Knopfmacherin

Titel: Die Knopfmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Neuendorf
Vom Netzwerk:
haben, kannst du da bleiben.«
    »Warum habt ihr keinen Lehrling?«, fragte Melisande. »Das Geschäft deines Meisters scheint doch sehr gut zu gehen.«
    »Das tut es auch. Und eigentlich könnten wir eine helfende Hand dringend gebrauchen. Allerdings macht der Meister keine Anstalten, sich einen neuen Lehrjungen zu suchen. Den Grund kennt niemand.«
    Die Stufen knarrten leise, als Bernhard voran die Stiege erklomm.
    »Dein Name könnte auch der einer Fee sein«, sagte er unvermittelt.
    Vor Schreck trat Melisande beinahe fehl. Mit der freien Hand hielt sie sich rasch an dem Seil fest, das als Geländer an der Wand angebracht war. »Einer Fee?«, fragte sie, als sie sich wieder gefangen hatte.
    »Ja, kennst du Feengeschichten? Meine Mutter hat mir einst von der Melusine erzählt, die eine Wasserfee war und einen Ritter gefreit hat.«
    »Ich bin aber keine Wasserfee«, entgegnete Melisande.
    »Nein, aber …« Bernhard stockte. Während ein rötlicher Schimmer auf seinen Wangen erschien, senkte er den Blick. »Nein, du bist nicht wie sie. Du hast keinen Schlangenschwanz.«
    »Melusine ist eine Fee mit einem Schlangenschwanz?«, fragte Melisande erschrocken. »Dann ist sie wohl eher ein Ungeheuer!«
    »Nein, ist sie nicht, denn diesen Schlangenschwanz hatte sie nur an einem Tag in der Woche. Ansonsten war sie eine wunderschöne Frau, die ihrem Gatten zehn Söhne gebar.«
    Melisande schüttelte den Kopf. »Was für eine seltsame Geschichte!«
    »Willst du wissen, was danach geschah?«
    »Nachdem sie die Söhne bekommen hatte?« Melisande zuckte mit den Schultern. »Ist die Geschichte damit nicht zu Ende?«
    Bernhard lachte auf. »Nein, natürlich nicht. An dem Punkt fängt sie eigentlich erst an.«
    »Also gut, dann erzähl.«
    »Sie bat den Ritter, nicht an Sonnabenden zu ihr zu kommen, weil sie sich da in ihre eigentliche Gestalt verwandelte.«
    »Und er hat es doch getan.«
    »Ja, und damit alles verloren. Erst sein Ansehen und schließlich auch sein Leben.«
    Melisande erschauderte. »Solch unheimliche Geschichten hätte unsere Mutter uns nie erzählt.«
    »Uns?«
    »Meiner Schwester und mir.« Melisande senkte den Kopf. Warum sollte ich ihm davon erzählen, wenn ich doch ohnehin am nächsten Tag gehen muss?, fragte sie sich stumm.
    »Was ist mit deiner Schwester?«
    Melisande schüttelte abwehrend den Kopf. »Nichts. Es ist nichts mit ihr.«
    Eine unangenehme Stille trat zwischen sie.
    »Da wären wir«, sagte Bernhard schließlich und stieß eine Tür auf. Der kleine Raum dahinter war in spärliches Licht getaucht. Ein Strohsack lag auf dem Boden, einige Kisten stapelten sich links neben der Tür. Die Staubschicht auf dem Fenstersims zeigte, dass dieser Raum seit langem nicht mehr bewohnt war.
    »Es ist nicht besonders schön, aber besser als nichts. Für eine Nacht wird es reichen.«
    Ohne es zu ahnen, versetzte Bernhard Melisande einen schmerzhaften Stich. Eine Nacht, und was dann? Wo soll ich Alina finden?, überlegte sie fieberhaft.
    Doch das Mädchen zwang sich zu einem tapferen Lächeln. »Ich danke dir, die Unterkunft ist gut. Bis gestern habe ich noch im Freien geschlafen, da war es wesentlich ungemütlicher.«
    Bernhard lächelte sie an, dann wandte er sich um. »Sobald Grete das Essen fertig hat, bringe ich dir etwas rauf. Mach es dir solange gemütlich.«
    Während seine Schritte die Stiege hinunterpolterten, setzte sich Melisande auf das Fensterbrett der Kammer und blickte durch die Butzenscheibe auf die Straße.
    Obwohl die runden Scheiben das Bild verzerrten, erkannte sie klar den Sonnenuntergang. Wie es Alina jetzt wohl ergeht?, fragte sie sich. Ob sie überhaupt noch am Leben ist? Tränen verwischten die Fensterscheibe vor ihren Augen. Ihre Glieder waren bleischwer, und in ihrer Brust klaffte eine schreckliche Leere. Der Gedanke an ihr Zuhause, an die Zeit vor dem Überfall schnürte ihr die Brust zusammen. Warum hat Gott mir das bloß angetan?, dachte sie niedergeschlagen. Weder meine Eltern noch wir haben etwas getan, um ihn zu erzürnen.
    Als es an der Tür kratzte, wischte sie sich rasch die Wangen ab und zog die Nase hoch. »Komm rein.«
    Bernhard trug eine Schüssel vor sich her, aus der eine kleine Dampfwolke aufstieg.
    »Hier, die hat Grete frisch gekocht«, erklärte er, während er das Gefäß auf einer Kiste abstellte. »Sie hat mit der Kelle schön tief in den Kessel gelangt, in deiner Schüssel schwimmen sicher sehr viel Graupen.«
    Melisande nickte ihm dankend zu.
    Bernhard blieb

Weitere Kostenlose Bücher