Die Köchin und der Kardinal
entschieden, Herr Weltlin?«, fragte Elisabeth den Kardinal, als sie bei milderen Temperaturen im Park des Schlosses spazieren gingen.
Die Wege waren mit herabgewehten Ästen übersät, überall standen Pfützen.
»Wir fahren kurz vor Weihnachten«, war seine Antwort. »Und natürlich nehmen wir Agnes mit. Was soll sie denn auch allein hier in diesem öden Schloss bleiben.« Elisabeth frohlockte innerlich. Aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Stattdessen gab sie ihrer Besorgnis Ausdruck.
»Fürchtet Ihr nicht einen Angriff der Kaiserlichen auf die Stadt Speyer?«, fragte sie.
»Soweit ich weiß, ist Speyer von den Franzosen besetzt«, gab der Kardinal zurück. »Sie ist voller Waffen und Menschen, eine Lazarettstadt und der Fleischtopf für die Umgebung.«
»Dann müssten die Truppen des Kaisers ja besonders darauf erpicht sein, sie zu erobern«, folgerte Elisabeth.
»Es ist eins, wo wir uns aufhalten, Elisabeth«, meinte er. »Der Krieg ist überall.«
Eine Gruppe von Raben erhob sich krächzend aus einem Baum, als wollte sie seine Worte unterstreichen. Elisabeth senktedie Stimme. »Und wo wollt Ihr die Bücher verbergen, um die es doch so sehr geht?«, fragte sie.
»Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen«, meinte er. »Hier zurücklassen will ich sie nicht. Warum sollen wir sie nicht einfach mitnehmen? Auf den Gedanken, dass wir den Corpus Delicti bei uns haben könnten, wird sicher niemand kommen!«
Bei dem Gedanken hätte Elisabeth fast gelacht. So einen absurden Einfall musste man erst einmal haben! Aber ihr fiel auch kein besseres Versteck ein. Auf jeden Fall würde sie ihren Lederrucksack weiterhin hüten wie ihren Augapfel. Im Weitergehen sprachen sie über ihren jeweiligen bisherigen Lebensweg.
»Ich entstamme«, sagte der Kardinal, »wie der berühmte französische Minister Richelieu einer verarmten Adelsfamilie aus Lothringen. Zunächst war ich Geistlicher, später wurde ich zum Bischof von Straßburg und zum Kardinal ernannt.«
An einem Tag kurz vor Weihnachten war es dann so weit. In einer vierspännigen, leichten Kutsche mit Verdeck saßen sie, der Kardinal und Agnes, während vier bewaffnete Soldaten des Grafen sie zu Pferde eskortierten. Elisabeth war froh, wieder unterwegs zu sein, auch wenn das Schloss und die Grafenfamilie ihnen eine Zeitlang Zuflucht geboten hatten. An Straßburg und Rastatt vorbei ging es nach Speyer, durch verbranntes Land. Die Soldaten machten genügend Eindruck auf mögliche Räuber und feindliche Horden, so dass sie unbehelligt zum Stadttor von Speyer kamen. Der Ort wurde überragt von dem mächtigen Dom, der auf einem Sporn hoch über dem Rhein errichtet war, aus gelbbraunem Sandstein erbaut, mit unzähligen Türmen und Seitenkapellen. Überall wimmelte das Volk, ritten französische und schwedische Soldaten. Sie stiegen in einer Herberge unweit des Doms ab. Der Kardinal sandte ein Schreiben an den Erzbischof und erhielt die Antwort, dass sie sich am darauf folgenden Mittag, dem Tag vor Heiligabend, in der Bischofspfalzneben dem Dom einfinden sollten. Die vier Soldaten verabschiedeten sich und ritten zurück zum Schloss Moran.
Mit klopfendem Herzen näherte sich Elisabeth am nächsten Tag, zusammen mit Agnes und dem Kardinal, der Bischofspfalz. Es war ein burgähnliches Palastgebäude mit einem Tor und Türmen, umgeben von einer hohen, dicken Mauer. Der Wächter ließ sie anstandslos passieren, als er Weltlins Kardinalsfarben erkannte. Ein älterer Mann in schwarzer Mönchstracht empfing sie hinter dem Tor. Auf seine Frage nach den Frauen antwortete Weltlin, es seien seine Köchin und seine Näherin, er habe sie nicht allein in der Herberge zurücklassen können. Innen gab es einen Palas, einen Gutshof und eine Pfalzkapelle, alles umgeben von Gärten, Bäumen und Wegen mit Buchsbaumrabatten. Der Mönch führte sie zum Palas, der aus demselben gelbbraunen Sandstein wie der Dom erbaut war und wie ein breiter Wohnturm wirkte. Es ging eine Wendeltreppe hinauf, die sich wie eine Schnecke nach oben wand. In einem Raum mit Kachelofen, Tisch und Stühlen bat der Mönch die drei, Platz zu nehmen. Den Erzbischof hätten dringende Geschäfte nach Trier gerufen, aber sein Sekretär stehe ihnen binnen Kurzem zur Verfügung. Elisabeth ging zu einem der schmalen Fenster des Raumes und schaute hinaus. Über die Mauer und Türme hinweg konnte sie den Rhein sehen, der träge durch seine düsteren, mit Weiden gesäumten Auen floss. Sie warteten
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