Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
können. Mein Name ist Acha, Genyra.«
Genyra …
Das Wort hallte wie ein Echo in Aryanwens Bewusstsein nach. Es stammte aus der alten Sprache, die unter den Frauen von Elfenhain bewahrt wurde, und bedeutete »die Gebärende«. Es war Bezeichnung und Titel gleichermaßen, der einerseits Achtung und Respekt zum Ausdruck brachte, andererseits aber auch verdeutlichte, dass im Kindbett alle Frauen einander gleich waren, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Stand.
»Hast du Schmerzen?«
Aryanwen nickte krampfhaft. Ihr dunkles Haar klebte in schweißnassen Strähnen, ihre Hände hatte sie auf ihren Bauch gepresst, während sie zusammengekrümmt in ihrem Bett lag. »Aber das allein ist es nicht«, flüsterte sie. »Ich spüre das Kind nicht mehr …«
Acha erwiderte etwas Unverständliches und befühlte ihre Stirn. Ihre Berührung war sanft, ihre Handfläche angenehm kühl. Dann schlug sie die Bettdecke zurück und nahm Aryanwens Unterleib in Augenschein, befühlte sanft ihren Bauch. Bange Augenblicke verstrichen, in denen die Hebamme kein Wort sagte. Dann wechselte sie einige Worte mit ihren Begleiterinnen. Obwohl Aryanwen immer geglaubt hatte, die alte Elfensprache zu beherrschen, verstand sie kein Wort. Unruhe ergriff von ihr Besitz, das Gefühl, dass man ihr etwas verschwieg.
»Was ist los?«, fragte sie verzweifelt. »Sagt es mir!«
Acha trat zu ihr ans Kopfende des Betts und sah sie durchdringend an. »Es ist so weit«, sagte sie nur.
»Was … soll das heißen?«
»Dass sich die Pforte zum Leben öffnen wird.«
»Was?«, hauchte Aryanwen entsetzt.
»Das Kind ist wohlauf«, bekräftigte die Hebamme leise, »es befindet sich auf dem Weg in die Welt. Die Schmerzen, die Ihr fühlt, sind Wehen, Genyra.«
»Aber … das kann nicht sein«, widersprach Aryanwen voller Furcht. »Es ist noch zu früh.«
»Das Leben ist bereit, wenn es bereit ist«, entgegnete Acha. »Es lässt sich weder beschleunigen noch verlangsamen. Ihr hättet früher zu uns kommen sollen.«
»Nein, Ihr versteht nicht«, hauchte Aryanwen. »Es ist zu früh, Mutter Hebamme«, flüsterte sie und sah flehend zu Acha auf. »Viel zu früh …«
Die Hebamme blickte auf sie herab, Unverständnis sprach aus ihren schmalen Zügen.
»Es darf nicht geschehen«, bekräftigte Aryanwen deshalb, die die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. »Nicht jetzt und nicht hier, hört Ihr?«
»Die Reise nach Elfenhain dauert wenigstens zwei Tage«, entgegnete Acha hart. »Das wirst du nicht überstehen, Genyra. Und dein Kind ebenfalls nicht.«
»Doch, das werden wir«, versicherte Aryanwen. Sie biss die Zähne zusammen und richtete sich halb in ihrem Bett auf, um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren.
»Du bist bereit, dein Leben zu riskieren? Und das des Kindes ebenfalls?«
Aryanwen saß auf der Bettkante. Eine weitere Wehe krampfte ihren Unterleib zusammen, sodass sie nicht sofort antworten konnte. Dann blickte sie auf und sandte der Hebamme einen düsteren Blick. »Ich kann es Euch nicht erklären, Mutter«, flüsterte sie, »weil ich Euch nicht zur Mitwisserin von Dingen machen möchte, die Euch schaden könnten. Aber wenn wir in Tirgaslan bleiben, sind mein Kind und ich stärker gefährdet, als wenn wir uns auf die Reise nach Elfenhain begeben, das müsst Ihr mir glauben.«
»Es ist keine Frage des Glaubens, Genyra.«
»Könnt Ihr mir nicht etwas geben, das die Wehen unterdrückt und das Kind zurückhält?«, fragte Aryanwen, zuerst an Acha, dann an die anderen Hebammen gewandt, die sich noch im Hintergrund hielten. »Ich bin noch nicht so weit, versteht Ihr? Ich kann das Kind noch nicht zur Welt bringen!«
Die Frauen wechselten daraufhin Blicke und sprachen erneut einige fremdartig klingende Worte.
»Also gut, Genyra«, sagte Acha. »Wir werden es mit einem Extrakt von Bitterkraut versuchen. Damit sollten sich die Wehen zunächst beruhigen. Aber ich warne dich, Genyra – die Wirkung wird rasch nachlassen. Wenn es geschieht, während wir noch unterwegs sind, wirst du dein Kind im Wald zur Welt bringen müssen, und ich brauche dir nicht zu erklären, was das bedeutet.«
»Nein, das braucht Ihr nicht«, hauchte Aryanwen, während sich fast reflexhaft Bilder in ihrem Kopf einstellten.
Dunkelheit.
Wildnis.
Kälte.
Gefahren.
»Lieber dort als hier«, versicherte sie dennoch, »wenn nur er nicht dabei ist.«
»Der König.« Acha nickte, und als Aryanwen der Hebamme diesmal in die Augen blickte, hatte sie das Gefühl, dort
Weitere Kostenlose Bücher