Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
hatte einen Träger ihres Kleides gelöst und gab ihrem neugeborenen Kind die Brust. Zwar entsprach dies in keiner Weise den Gepflogenheiten einer Königin, die gewöhnlich auf die Dienste einer Amme zurückgriff, jedoch hatte Acha sie dazu ermutigt, es selbst zu tun, und Aryanwen hatte es nicht bereut. Das Glück und die Zufriedenheit, die sie dabei empfand, waren unbeschreiblich.
»Wie soll deine Tochter heißen?«, fragte Acha.
Aryanwen sah sie an. »Ich … weiß es noch nicht. Dag ist nicht hier, ich kann ihn also nicht fragen. Und ich selbst habe noch keinen passenden Namen für dieses wundervolle Geschöpf gefunden.«
Acha lächelte. »Der Name wird zu dir kommen, Manam.«
»Meint Ihr?«
»Ganz sicher. Aber deswegen hast du mich nicht hierhergebeten, oder?«
Aryanwen fühlte Achas prüfenden Blick, und wie so oft hatte die alte Hebamme recht. So lange wie möglich hatte Aryanwen den Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Tirgaslan hinausgezögert. Acha und ihre Hebammen, die sie und ihr neugeborenes Kind liebevoll umhegten, hatten Aryanwen nicht zur Abreise gedrängt, und so war sie geblieben, hatte sich von der kräftezehrenden Schwangerschaft und den Strapazen der Geburt erholt und die Stille und Geborgenheit Elfenhains genossen. Auf diese Weise hatte sie wertvolle Zeit gewonnen – Zeit, die nötig war, um Lavan glauben zu lassen, dass es sein Kind wäre, das sie in Elfenhain zur Welt gebracht hatte.
Doch Aryanwen war bewusst, dass sie die Geburt des Kindes nicht ewig verheimlichen konnte. Die Zeit der Rückkehr in den Königspalast rückte unaufhaltsam näher und drängte sie zu einer Entscheidung.
»Ich muss Euch um etwas bitten, Mutter Hebamme.«
»Ich weiß.« Die alte Frau nickte.
»Ihr – wisst es?«
Acha lächelte schwach. »Es gehört nicht viel dazu, sich zu denken, worum du mich bitten willst. Allerdings kann ich deiner Bitte nicht entsprechen.«
»Tut Ihr es nicht, so weiß ich nicht, was werden soll«, erwiderte Aryanwen leise und betrachtete das Mädchen, das an ihrer Brust sog und sie dabei mit großen Augen ansah, mit einem liebevollen Blick. »Dieses Kind ist alles, was mir geblieben ist. Ich möchte, dass es in Frieden aufwächst, unberührt von den Intrigen und Ränken am Hof von Tirgaslan.«
»Also?«, fragte Acha. Das Kind hatte zu Ende getrunken. Sie nahm es entgegen, damit Aryanwen sich wieder vollständig ankleiden konnte.
Aryanwen bedeckte ihre Blöße. Dann schloss sie die Augen, die sich mit Tränen zu füllen drohten. Es war schwer, es auszusprechen, unendlich schwer … »Also, Mutter Hebamme«, überwand sie sich endlich, »bitte ich Euch, mir zu erlauben, das Kind bei Euch in Elfenhain zu lassen.«
Es war ausgesprochen.
Aryanwen fühlte sich erleichtert und elend zugleich.
»Wie stellst du dir das vor?« Acha hob die schmalen Brauen. »Was wird der König sagen?«
»Der König wird es nie erfahren. Ich werde nach Tirgaslan zurückkehren und ihm mitteilen, dass das Kind die Geburt nicht überlebt hat. Wenn er erfährt, dass es ein Mädchen war, wird er ohnehin keine weiteren Fragen stellen.«
»Und wenn die Wahrheit doch ans Licht kommt?« Acha betrachtete das Mädchen in ihrem Arm. Dünnes dunkles Haar umrahmte ein rosiges Gesichtchen, aus dem schwarze Augen blickten und in dem sich eine kecke kleine Nase erhob. »Solch ein vollendetes kleines Wesen«, stellte sie fest. »So viele Kinder habe ich schon zur Welt gebracht, und doch verharre ich stets in Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens. Und du willst es aus den Händen geben?«
»Nicht weil ich will, Mutter Hebamme«, versicherte Aryanwen leise. Sie hatte sich vorgenommen, ihre Gefühle so weit wie möglich aus dem Spiel zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Allein der Gedanke, sich von ihrem Kind zu trennen, ließ ihre Stimme beben und trieb ihr Tränen in die Augen. »Sondern weil ich keine andere Wahl habe«, fuhr sie flüsternd fort. »Selbst wenn es mir gelingt, ihre wahre Herkunft zu verheimlichen – Lavan wird eine Tochter niemals als Erbin akzeptieren. In Tirgaslan wäre sie stets der ungelittene Spross – hier hingegen könnte sie in Sicherheit aufwachsen, in der Geborgenheit der Frauen von Elfenhain.«
»Du verlangst viel«, stellte Acha fest. »Zu viel.«
»Ich verlange nichts«, widersprach Aryanwen und senkte ehrerbietig das Haupt. »Ich bitte Euch. Von Mutter zu Mutter.«
»Ich danke dir für dein Vertrauen, Manam«, erwiderte die alte Hebamme, »und, nun, da ich deine Not fühle und die
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