Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)

Horn sich nicht entschuldigt?«
    Aryanwen brachte ein Lächeln zustande, das tatsächlich wie ein Lächeln aussah. »Ihr beide habt euch nicht verändert.«
    »Aber du dich ganz offenbar«, stellte Rammar mit einem weiteren argwöhnischen Blick in Richtung des Kindes fest. »Was ist passiert?«
    »Ich bin Mutter geworden«, erklärte Aryanwen, als würde das alles erklären.
    »Ach, wirklich. Und das Balg ist von ihm. Von dem Erfinder.«
    Aryanwen seufzte. »Vieles ist geschehen, seit wir uns das letzte Mal begegneten.«
    »Was du nicht sagst.« Rammar schnaubte. »Weißt du, unser Leben ist auch nicht gerade schnurgerade verlaufen, das kannst du mir glauben. Wir hatten alle Klauen voll damit zu tun, am Leben zu bleiben, nachdem wir euch umbal’hai geholfen hatten.«
    »Korr«, bekräftigte Balbok entschieden – als aus einiger Entfernung ein Ruf auf Orkisch erklang.
    Aryanwen und das Kind fuhren erschrocken auf.
    »Unser Anführer«, erklärte Rammar.
    »Noch ein umbal «, fügte Balbok erklärend hinzu.
    »Er will wissen, ob wir dich schon eingefangen haben.« Rammar rief seinerseits einige Worte auf Orkisch, die zwischen den Bäumen des Waldes verhallten.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Aryanwen ängstlich.
    »Dass wir kurz davor sind«, erklärte Rammar.
    »Nein, bitte nicht!« Flehend blickte sie von einem Ork zum anderen. »Mit mir macht, was ihr wollt, aber bitte tut meinem Kind nichts zuleide.«
    »Keine Sorge«, versicherte Balbok, »das haben wir sowieso nicht vor.«
    »Was soll das heißen?«
    »Mein dämlicher Bruder hat recht«, pflichtete Rammar bei. »Unser Auftrag lautet nicht, das Kind der Menschenfrau zu töten, sondern es mitzunehmen.«
    »Es … es mitzunehmen? Ihr wusstet also von dem Kind?«
    »Korr«, bestätigte Rammar. »Alle reden von diesem Kind. Wir haben nur nicht gewusst, dass es deins ist.«
    Wieder schrie ihr Anführer, lauter und ungeduldiger diesmal. Und näher.
    »Rammar«, drängte Balbok.
    »Ja doch, Faulhirn, ich weiß«, zischte sein Bruder. »Ich muss nur einen Augenblick nachdenken, und das kann ich nicht, wenn du die ganze Zeit über schwafelst.«
    »Aber ich …«
    »Bitte«, flüsterte Aryanwen. Sie kauerte auf den Knien und blickte flehend zu ihnen auf. »Tut es nicht. Nehmt mir nicht mein Kind, ich bitte euch!«
    Die Orks starrten auf sie und auf das Kind in ihrem Arm. Dann wechselten sie einen Blick.
    »Shnorsh«, sagte Balbok voller Inbrunst.
    »Korr«, stimmte Rammar in seltener Einmütigkeit zu. »Du bleibst hier, Milchgesicht, hast du verstanden?«, fuhr er Aryanwen dann an. »Du versteckst dich und gibst keinen Mucks von dir, kapiert? Wenn das Balg auch nur einen Laut macht, ist es vorbei, verstanden?«
    »Verstanden«, hauchte sie.
    »Bleib hier und warte«, wies Rammar sie an. »Wir kommen wieder.«

2
    S ie näherten sich dem Rand des Waldes.
    Dag erkannte es an der Luft, die nicht mehr nach Pilzen und Moder roch, und am sich verändernden Klang seiner Umgebung. Im Dickicht hörte sich alles dumpf und verschwommen an, und es war beinahe unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung ein Geräusch drang; je weiter sich die Bäume jedoch lichteten, desto klarer und verschiedenartiger wurden die Geräusche.
    Dag war nie zuvor im östlichen Hochland gewesen. Sein Onkel, der mit Leidenschaft der Jagd gefrönt hatte, hatte ihn manchmal mitgenommen, um im Grenzwald auf die Jagd nach Wildschweinen zu gehen. Doch niemals waren sie weiter als in den westlichen Saum des Waldes eingedrungen, und Dag hatte sich immer gefragt, ob dies wegen der bisweilen feindseligen Hügelclans gewesen war oder wegen der Geschichten, die man in Ansun über den Wald erzählte.
    Dag hatte nie etwas auf diese Ammenmärchen gegeben, noch nicht einmal, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Seine Vernunft war von jeher stärker gewesen als jeder Aberglaube, und seine Leidenschaft hatte stets der Wissenschaft gehört. Doch nun hatte er feststellen müssen, dass manches von dem, was der Volksmund über den Grenzwald sagte, ganz offenbar doch der Wahrheit entsprach. Zumindest die Wechselbälger, von denen in den alten Geschichten die Rede war, schienen tatsächlich zu existieren. Und da war jene unheimliche, geflügelte Kreatur, von der Dag noch nicht einmal wusste, was genau sie eigentlich gewesen war.
    Er hatte Dwethan danach gefragt, aber der alte Prediger hatte nur einsilbig geantwortet. Und wenn Dag inzwischen etwas gelernt hatte, dann dass es unmöglich war, seinem Begleiter etwas zu