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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Ferne den Torre de Bélem, der nicht, wie in Lisboa, mitten im Tejo erbaut worden war, sondern sich inmitten eines großen Parks voller krummer Bäume und wilder Blumen befand. Gleich dahinter ragten die spitzschrägen hohen Türme der Sagrada Família in einen Himmel, an dem weder Stern noch Sonne funkelte und der rein und weiß war wie ein unbeschriebenes Blatt Papier.
    All das durfte es hier gar nicht geben, nicht an diesem Ort und vor allem nicht am selben Platz.
    Die Sagrada Família war zerstört worden, daran gab es keinen Zweifel. Und der Torre de Bélem lag in jenem Teil Lisboas, der bereits von den Schatten überrannt worden war, als Catalina noch hoch oben in der Alfama am Largo dos Portos do Sol gestanden hatte.
    Warum, fragte sie sich erneut, bin ich überhaupt hier? Was ist meine Aufgabe? Was werde ich tun, wenn ich die Windmühle erreicht habe?
    Was muss die Mephistia tun, damit alles wieder gut wird?
    Miércoles stieß ein lautes Fauchen aus. Catalina erschrak und sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite.
    Ein großes Gewächshaus, in dem sich Schlingpflanzen mit grellgelben Blüten an die Fensterscheiben drückten, lief ihr über den Weg und hätte sie beinahe zertrampelt.
    Catalina keuchte. Meine Güte!
    Das war keine Wanderstadt – das war der reine Irrsinn.
    Es gab schiefe Türme, die sich über breite Avingudas schoben, und grüne Gärten, die auf den Wurzeln ihrer Pflanzen über Steine krochen. Die Stadt wanderte, indem sich ihre Bauwerke und Plätze, Straßen und Tempel, Kanäle und Häfen alle einzeln fortbewegten. Sie überholten einander, schoben sich durch enge Gassen und hielten an, wenn ein größeres Gebäude ihren Weg kreuzte. Die Häuser, die weiter hinten lagen, drängelten sich an den Bauwerken vorbei, die langsamer waren als sie selbst.
    Das Mädchen dachte unwillkürlich an die Sonne und daran, wie sie Tag für Tag über den Himmel wandert. Die Schatten taten es ihr gleich und wie die Sonne auf die Erde schien, passten die Schatten ihre Wanderungen dem steten Verlauf der Sonnenscheibe an.
    War dies hier etwa genauso?
    Fragte sich nur, wohin die Stadt wanderte. War es möglich, dass sie Lisboa verließ?
    Wenigstens schien Catalina in diesem Chaos ihren Verfolger abgeschüttelt zu haben. Von dem Flüsterer hinter ihr war keine Spur mehr zu sehen.
    »Du hast es ein zweites Mal geschafft«, flüsterte sie und wünschte sich so sehr, dass Márquez und sein Schatten sie hören könnten. »Das, was du vorhattest, hat seine Wirkung gezeigt.«
    Miércoles sah sie aus seinen klugen, bernsteinfarbenen Augen an und lächelte.
    Komm schon, Kleine, schien sein Blick zu sagen. Gib nicht auf.
    Und das tat sie nicht, auch wenn sie sich müde und erschöpft fühlte und so durchsichtig wie die Schattengesichter, die sie immer wieder in den vorbeihuschenden Fenstern entdeckte. Neugierig sahen sie ihr hinterher oder starrten sie einfach blicklos an.
    Auf der Straße dagegen traf sie nur wenige Schatten, was daran liegen mochte, dass das Leben dort voller Gefahren war, wie Catalina unschwer erkannte, als ein weiteres Haus ihren Weg kreuzte und sie beinahe mit sich gerissen hätte.
    Immer schneller wurden die Bewegungen der Bauwerke um sie herum. Sie knirschten laut, wenn sie sich vorwärtsschoben, und kleine Steinchen bröckelten hier und da ab.
    Catalina sprang auf einen der Steine und ließ sich für einen Moment mittragen. »Sind wir vom Weg abgekommen?«, fragte sie den Kater, der seine Flügel ausgebreitet hatte und neben ihr herflog.
    Miércoles schnurrte nur.
    »Heißt das, wir sind richtig?«
    Er nickte.
    Sie las den Straßennamen, der sich änderte, als das Schild sich in einen anderen Stadtteil fortbewegte. »Glaubst du, der Flüsterer weiß, dass wir zur Windmühle wollen?«
    Der Kater schüttelte den Kopf.
    »Bist du dir sicher?«
    Erneut schüttelte er den Kopf.
    Kater, dachte Catalina ein wenig entnervt.
    Sie wechselte von Stein zu Stein. Bald erreichte sie einen Platz namens Plaza de Armas, an dem sich ein Königspalast befand. Doch bevor sie überlegen konnte, wie sie den Platz umgehen konnte, überquerte dieser mitsamt der Palastanlage einen Kanal, der sofort austrocknete und zu einer Avinguda mit Palmen wurde, sobald der Palast sich entfernt hatte und hinter einer Häuserzeile aus Mosaiksteinchen verschwunden war.
    Catalina kümmerte sich nicht länger darum. Sie lief einfach weiter, dem Verlauf der Straßen folgend, die der alte Kartenmacher ihr beschrieben hatte. Zur Windmühle

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