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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Lichtstrahlen zischten in den Bauch der Galeone hinein.
    »Was ist das dort drüben?«
    »Gebläsemaschinen«, gab Cortez zur Antwort. Er wendete den Falken und flog einen Kreis. Er deutete auf eine Stelle hoch oben, wo das Deck sein musste. »Kannst du es erkennen?«, fragte er den Jungen.
    »Ist das Ölwasser?«
    Kamino nickte nur und machte kein Hehl aus ihrer Bewunderung für den Plan des Kapitäns. »Es tropft in die Gebläsemaschinen hinein«, sagte sie. »Brennendes, sich vermehrendes andalusisches Ölwasser.« Sie musste grinsen. »Es wird . . .«
    Eine Explosion erschütterte den Falken. Ein gewaltiger Feuerball raste durch das Innere der Galeonenstadt und riss Häuser, Türme und kreischende Schattenwesen gleichsam mit sich. Das siedend heiße Ölwasser hatte sich in eine Gebläsemaschine gefressen und nun flogen Eisenteile, Feuerklumpen und Steinbrocken durch die von Feuerwerkskörpern und Flammen erhellte Finsternis.
    Der Falke erbebte.
    Und Jordi erkannte den Plan des Kapitäns, der, wie alle guten Pläne, im Grunde genommen so einfach war, dass man ihn fast schon übersehen konnte.
    »Die Galeone wird sinken und abstürzen und die Flammen werden uns den Weg durch die hohe Schattenwand frei brennen.« Der Falke würde die Blockade Lisboas durchbrechen, indem er sich tief im Bauch der Galeonenstadt versteckt hielt.
    »Das Schiff sinkt bereits.« Cortez hatte sichtlich Mühe, den bebenden Falken auf Kurs zu halten.
    Jordi konnte sehen, wie die Galeonenstadt in sich zusammenfiel. Das sich vermehrende andalusische Ölwasser suchte sich seinen Weg durch alle Ecken und Winkel, die wurmähnlichen Kanonenkreaturen schrumpften in der Hitze und Helligkeit der Flammen, die tosenden Gebläsemaschinen explodierten, eine nach der anderen. Eisenteile trafen den Falken und fügten ihm Schaden zu, doch Cortez schaffte es, den Vogel in der Luft zu halten. Dann, nach einer Ewigkeit, brach der Bug der Galeonenstadt auseinander und das gleißende Licht des anbrechenden Tages ließ alle kurz die Augen zusammenkneifen.
    Im selben Moment stieß Cortez mit aller Macht den Steuerhebel nach vorn.
    Der Falke verharrte für einen schier endlosen Augenblick in der Luft, bevor ihn die Seufzerstürme endlich lospreschen ließen, durch die Flammen und Trümmerfetzen hindurch und hinein in die helle Welt, die sich vor ihnen ausbreitete.
    Jordi atmete auf. Die Blockade lag hinter ihnen.
    Kamino Regalado drehte sich zu ihm hin und für einen kurzen, kurzen Augenblick versank er in ihrem triumphierenden Blick. Das Licht des neuen Tages funkelte tief in ihm und Jordi, der ganz durcheinander war, hatte nicht die geringste Ahnung, was dieses Leuchten zu bedeuten hatte.

Stadt aus Nacht und Nirgendwo
    Catalina sah den Flüsterer nur mehr aus der Ferne, doch die Schreie des alten Kartenmachers hätten sie nicht stärker treffen können, wenn sie direkt neben ihm gestanden hätte. Mit einem verzweifelten Stöhnen verharrte sie auf der Stelle, bis der Kater ihr auf die Schulter sprang und warnend fauchte.
    Ja, sie wusste es.
    Ein Zurück gab es nicht mehr.
    Sie war jetzt in der Stadt der Schatten und der Flüsterer, der ihnen durch den Chafariz gefolgt war, hatte keine Zeit verloren und das getan, wovor Márquez sich so gefürchtet hatte. Er hatte sie eingeholt. Und sie hatte den Kartenmacher im Stich gelassen.
    »Es ist alles anders, als du es dir denkst.« Arcadio Márquez hatte es ihr zu erklären versucht.
    Catalina hatte nicht verstanden, was genau er ihr damit sagen wollte. Und die Zeit, ihn danach zu fragen, war ihr nicht mehr geblieben. Denn der Flüsterer war dem Chafariz entstiegen, brausend wie etwas, das wider die Natur ist, hatte er die Form angenommen, die seine eigene war, und Catalina hatte sein Antlitz erblickt, das ein vor Jahren zerfallenes Gesicht voller Zorn und Boshaftigkeit war. Die Haut, schäbig wie altes Papier, war notdürftig geflickt worden. In den Narben waren kleine Klammern befestigt, mit deren Hilfe die fehlenden Hautstücke mit braunem, schmutzigem Papier verbunden wurden.
    Der Flüsterer sah aus wie ein Mann, der bereits gestorben war, vor langer, langer Zeit, und den die Magie des Papiers und der Worte mühsam am Leben hielt. Catalina musste an Kassandra Karfax denken, die seltsame Frau aus Pergament und Papier, die sie in Lisboa getroffen und die ihr Stift und Papier in die Hand gedrückt hatte, um Malfuria zu zerstören. Auch sie hatte so ausgesehen. Sie hatte beschriftetes Papier im Gesicht getragen, dort und

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