Die Koenigin der Schattenstadt
schadhaften Stellen gewährten, was nicht immer ganz einfach gewesen war.
»Als der Falke erbaut worden ist, da hat niemand daran gedacht, dass solche Schäden während des Fluges repariert werden müssten«, hatte Cortez gewarnt. »Es ist etwas unbequem.«
»Ich schaffe das schon«, hatte Jordi dem Kapitän versichert. Arbeiten wie diese hatte er auch im Leuchtturm erledigen müssen. Und mit Höhen hatte er auch dort kein Problem gehabt.
Cortez hatte ihm lachend auf die Schulter geboxt und gegrinst. »Schon klar, Junge, ich weiß, dass du das schaffst.« Dann war er gegangen und hatte Jordi seine Arbeit tun lassen.
Am Anfang hatte Jordi noch Mühe gehabt, die fehlerhaften Schläuche zu entdecken. Doch dann war es ihm leichter und leichter von der Hand gegangen. Er musste von einem Stockwerk zum nächsten klettern und danach auch noch in die Verstrebungen unterhalb der Flügel, wo es zugig war und die Seufzerstürme sich ausruhten. Ganz wehmütig wurde Jordi zumute, als er sich dort aufhielt, aber das passierte immer, wenn die Seufzerstürme in der Nähe waren. Kamino hatte ihm geraten, nicht auf sie zu hören, das sei besser so.
Jetzt war Jordi auf der Rundreling unterwegs, einem schmalen, engen Weg aus Stahlplatten, der unterhalb des Cockpits um den gesamten Körper des Falken lief.
Es war ein ungewohntes Gefühl, so zu arbeiten, Teil einer Gruppe mit dem gleichen Ziel zu sein, Anerkennung zu bekommen. Früher, im Leuchtturm, war Malachai Marí, Jordis trunksüchtiger Vater, immer zur Stelle gewesen, um den Jungen zu kritisieren. Andauernd hatte er etwas an der Arbeit seines Sohnes auszusetzen gehabt, nichts, aber auch wirklich gar nichts, war ihm gut genug gewesen.
Wie er ihn gehasst hatte.
Und jetzt?
Malachai Marí hatte Kopernikus und ihm die Flucht aus Barcelona ermöglicht, hatte ihnen den Pájaro überlassen, das Fluggerät, das sie weit, weit fortgebracht hatte.
Doch die Schatten hatten Malachai Marí besiegt. Sie waren in Scharen in den Leuchtturm hineingeflossen und Jordis Vater war allein auf seinem Posten zurückgeblieben. Und sosehr der Junge auch das Gefühl hatte, dass Catalina noch am Leben war, sosehr war er sich der Tatsache gewiss, dass sein Vater ein ganz anderes Schicksal für sich erwählt hatte, als ein Schattenaugenmensch zu werden.
Jordi griff zum nächsten Schlauch, in den ein Finsterfalter Löcher genagt hatte. Er hatte gerade damit begonnen, den Leim aus der Tube zu drücken, als ein Wind ihm plötzlich durchs Haar fuhr. Und er brachte ihm einen Geruch ganz nah, den er kannte.
Catalina!
Er hielt inne und schaute in den Himmel hinein und nahm einen tiefen Atemzug.
Und wieder streifte ihn der Wind. Er berührte ganz sacht sein Gesicht und abermals war es der Geruch Catalinas, der dicht bei ihm war. Nach der warmen Sonne von Montjuic auf der gebräunten Haut und dem hellen Staub der singenden Stadt, so roch der Wind. Nach dem klaren Lachen und den Augen, in denen sich Träume spiegelten.
Mit leiser Stimme fragte Jordi: »El Cuento?«
Der Wind wehte ihm um die Sandalen, und wenngleich Jordi natürlich nicht verstehen konnte, was genau der Wind da sagte, so spürte er dennoch die wispernden Worte im windigen Wehen. Es war eine Sprache, die er nie zu sprechen erlernt hatte, aber nichtsdestotrotz eine Sprache.
El Cuento malte ihm das Gesicht des Mädchens in den Himmel und teilte ihm mit, dass sie noch lebte. Hätte er sie sonst riechen können? Sie musste noch am Leben sein und El Cuento war hierhergekommen, um ihm genau das mitzuteilen.
Nun ja, jedenfalls war es das, was Jordi verstand. Das, was er verstehen wollte.
»Bist du es wirklich?« Er kam sich komisch vor, mit einem Wind zu reden, aber Catalina hatte es auch getan. Plötzlich dachte er an die Sturmböen, die vor Fados Laden in der Alfama die Feuer angefacht hatten. »Du bist mir gefolgt!«
Der Wind blies ihm ungestüm ins Gesicht, dass Jordi plötzlich lachen musste. Er fasste mit der Hand in die Luft und der Wind sprang ihm unsichtbar durch die Finger. Es kitzelte ein wenig und es fühlte sich an, als hielte man die Hand in sanft fließendes Wasser.
»Du bist es tatsächlich!« Jordi wusste gar nicht, wie ihm geschah.
El Cuento wehte eine wortlose Antwort in den Himmel über der Wüste. »Geht es Catalina gut?« Die Fragen kamen auf einmal nur so aus ihm herausgeschossen, so aufgeregt war Jordi. »Wo ist sie? Warum bist du nicht mehr bei ihr? Ist sie noch immer in Lisboa? Konnte sie entkommen? Ihr ist doch
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