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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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»Ich bin schließlich ein Sphinx.«
    Catalina holte tief Luft und warf einen Blick aus dem Fenster, an dem gerade ein mehrstöckiges Haus mit verschnörkelten Balkonen vorbeilief.
    Herrje!
    Miércoles war also ein Sphinx.
    Wie verrückt konnte es noch werden?
    Oder nein, nicht verrückt, korrigierte sie sich selbst. Unglaublich.
    Sie saß in einer Windmühle, die durch eine aufgeregte Schattenstadt wanderte und bei jeder ihrer fließenden Bewegungen schaukelte wie ein Schiff in der See an einem stürmischen Nachmittag.
    Und hinter ihr, auf dem zerschlissenen Teppich, den sie schon Hunderte Male achtlos überquert hatte, saß ein Sphinx und putzte seine Flügel.
    »Warum kann ich dich plötzlich verstehen?« Sie schaute Miércoles an.
    »Du hast mich zu Tränen gerührt, so einfach ist das.«
    »Aber ich habe deine Tränen nicht getrunken.« Hatte Márquez ihr nicht gesagt, dass sie genau dies tun müsse, um ihn zu verstehen?
    Miércoles kicherte leise. »Das ist nur eine von vielen Menschengeschichten, nichts weiter.« Er schien den Gedanken, dass sie an dieses Märchen geglaubt hatte, äußerst erheiternd zu finden.
    »Ich dachte immer, dass Sphinxe größer seien.« Catalina erinnerte sich an die Bilder, die sie in manchen Büchern gesehen hatte. Sogar auf vielen der knittrigen uralten Karten waren sie gezeichnet gewesen: riesige löwenartige Wesen mit mächtigen Mähnen und Pranken und Menschengesichtern mit stechenden Augen; Wesen, deren goldene Flügel sich weit spannten.
    »Ich bin ein Sphinx«, sagte Miércoles ein wenig beleidigt, »auch wenn ich nicht groß bin. Ist das schlimm?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Er sprang zu ihr auf den Fenstersims, auf dem Catalina früher oft die Tuschegläser abgestellt hatte. »Vor langer Zeit«, erklärte er ihr geduldig, »gab es mächtige Sphinxe. Sie waren Götter und sie lebten in den grünen Königreichen an den Quellen des Nils. Die Sphinxe von Saba, so hat man sie damals genannt. Eine Königin, die gerecht und schön war, herrschte dort im tiefen Dschungel. Die Sphinxe sind die Wächter ihres Palastes gewesen.« Er schnurrte stolz. »Doch dann, durch ein dummes Missgeschick, gerieten die Sphinxe in Ungnade. Die Königin verbannte sie aus ihrem Reich und so folgten sie dem Lauf des Flusses. Doch der Ruf, die Menschen in Rätsel zu verstricken, eilte den Sphinxen voraus. Niemand wollte etwas mit ihnen zu tun haben. Niemand gewährte ihnen Obdach.«
    »Sie haben die Menschen in Rätsel verstrickt?«
    Er nickte, schnell. »Wir lieben Rätsel. Wir sind überall dort, wo Rätsel sind.«
    »Aber warum wurdet ihr verjagt?«
    »Die Menschen«, sagte Miércoles, »mögen keine Rätsel.«
    Catalina seufzte auf. Auch wenn es vielleicht dumm war, sie konnte das nur zu gut verstehen. Inzwischen hatte sie die Nase gestrichen voll von Rätseln und dem, was sie nach sich zogen.
    »Gibt es noch andere wie dich?«, fragte sie.
    Miércoles schüttelte den Kopf. »Selbst La Gataza wusste nichts über meine Art.« Er zwinkerte ihr zu.
    »Ich dachte, Malfuria sei allwissend?«
    Miércoles entfaltete einen seiner Flügel und zupfte an den Federn. »Das ist nur das, was La Gataza glaubte. Ihr Fehler.«
    »Dann war sie es also nicht?«
    »Wäre Malfuria sonst zerstört worden?« Er legte den Flügel wieder an den Körper an.
    Catalina senkte schuldbewusst den Blick. »Ich bin diejenige gewesen, die es getan hat.«
    Miércoles’ güldene Augen musterten sie gelassen. »Du bist also wirklich die Mephistia.« Es war vielmehr eine Feststellung als eine Frage.
    Sie nickte, stumm.
    »Ich habe es gewusst.«
    Verwundert fragte Catalina: »Woher willst du das denn gewusst haben?«
    »Na, weil du rätselhaft bist.«
    Catalina starrte ihn verblüfft an. »Ich? Rätselhaft?«
    »Es gibt nur noch wenige Kartenmacherinnen.« Er kam auf sie zu und strich an ihrem Arm entlang. »Hast du dich jemals gefragt, wo diese Gabe herkommt?«
    Sie legte den Kopf schief. Er hatte recht! Darüber hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht. »Ich dachte immer, dass jede Hexe eine ganz besondere Eigenschaft besitzt«, antwortete sie. »Und ich bin eben eine von denen, die Karten zeichnen können.«
    »Sicher, es gibt viele Hexen, dort draußen in der Welt.« Seine Stimme klang plötzlich ganz anders, ernster und gewichtiger. »Aber warum hat La Gataza nicht sie um ihre Hilfe gebeten?«
    »Die meisten von ihnen sind getötet worden, nachdem die Galeonen Jagd auf sie gemacht haben.«
    Miércoles schnaubte. »Aber einige

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