Die Koenigin der Schattenstadt
sagte der Sphinx eingeschnappt. »Ich bin nicht so gut im Lösen von Rätseln.«
Catalina achtete nicht auf die beiden. »Sie sind nicht wirklich Schwestern gewesen, oder?« Sie starrte Firnis an. »La Sombría ist in Wirklichkeit keine Frau. Sie ist ein Schatten, nicht wahr? Nur deswegen kann sie hier leben!«
»Fragt sich nur, wessen Schatten sie ist!« Miércoles knurrte.
Catalina dachte an die Frau aus Papier, die sie in Lisboa dazu gebracht hatte, Malfuria zu zerstören.
Und endlich, endlich hatte sie das Gefühl, dass sich die losen Enden der Fäden zusammenfügten. Dass sie zu erkennen begann, was hier vor sich ging.
»Kassandra Karfax«, flüsterte sie. »La Sombría ist ihr Schatten! Nur so kann es sein. Sie hat sogar ein Bild von ihr gemalt, erinnert Ihr Euch, Firnis? Ihr habt es selbst in einem Buch gefunden, bevor das Haus der Nadeln zerstört wurde.«
Firnis nickte. »Du bist ein kluges Mädchen, das bist du«, sagte er. »Denn so sagen es auch die alten Geschichten, die die Schatten aufgeschrieben haben.« Vorsichtig strich er über das Buch und die Buchstaben stoben über seine Finger. Er schloss die Augen und verzog sein Gesicht. Es kostete ihn Anstrengung weiterzulesen. »Demnach wurde die Königin der Schattenstadt geboren, weil ihr Körper ihr die Freiheit geschenkt hat. Mit einer silbernen Münze hat Kassandra sich den Schatten vom Leib geschnitten. Und damit wurde La Sombría lebendig.«
»Es ist wider die Natur, was Kassandra getan hat«, sagte Miércoles.
»Du meinst . . .«
»Dies alles hier«, sagte er, »ist das Ergebnis dessen, was sie getan hat.«
Langsam, ganz langsam wurde Catalina die Bedeutung dieser Worte bewusst.
Nicht, weil sie alle Antworten auf ihre Fragen sah.
Nein, weil sie auf einmal wusste, wie ihr Weg aussehen würde.
Aber weil tief in ihr eine Idee aufblitzte.
»Kassandra Karfax hat sich den Schatten vom Leib geschnitten und damit alles verändert«, wiederholte sie. »Das, was uns umgibt, dürfte gar nicht existieren.« Sie schaute auf. »Aber das tut es, nicht wahr. Und genau das ist unser Problem.«
»Sie will eine Welt, in der sie mit den Schatten gemeinsam leben kann.«
»Diese Welt wird es niemals geben.« Es sei denn, Catalina würde sie zeichnen. Das wäre die einzige Lösung für La Sombría.
Aber sie würde es nicht tun. Sie würde sich ihnen verweigern, so viel war sicher. Mit aller Kraft!
»Was hatte Malfuria mit alldem zu tun?« Am Ende war es die letzte Frage, die sie stellen musste. Es war die Frage, die alle Rätsel zu lösen vermochte.
»Kassandra Karfax«, teilte Firnis ihr mit, »hatte eine Lehrerin. Eine weise Frau, die sich um sie kümmerte. Eine Hexe.«
Catalina war wie vom Donner gerührt. »Wie war ihr Name?«, fragte sie langsam, obschon sie die Antwort glaubte zu kennen.
Was hatte Miércoles gesagt, in der Windmühle, kurz bevor die Bibliothek zu ihnen gekommen war? Wesen, die sich so abgrundtief hassen, wie Agata la Gataza und La Sombría es tun, müssen einfach eine gemeinsame Vergangenheit haben.
»In den Chroniken der Schattenstadt steht geschrieben, dass Kassandra Karfax von Agata la Gataza aufgezogen wurde. Der Hüterin von Malfuria.«
Catalina nickte und schloss die Augen. Ja, es passte zusammen.
»Was uns wieder vor neue Rätsel stellt«, sagte Miércoles.
Doch Catalina schüttelte nur den Kopf. Nein, dies war kein Rätsel. Auf einmal war ihr alles klar. Wie hatte sie die ganze Zeit über nur so blind sein können?
»Ich weiß jetzt, was ich tun muss«, sagte sie und die Entschlossenheit, die fast erloschen war, flammte erneut in den grünen Augen auf. Mit jeder Sekunde, die sie noch verstreichen ließen, würde die Schattenstadt weiterwachsen.
Ja, sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Das Dumme war nur, dass sie nicht wusste, wie sie es tun musste.
Die Königin der Schattenstadt
Sarita Soleado und Kassandra Karfax betraten den Raum, in dem die Herrin von Malfuria und La Sombría gemeinsam die flackernde Kerze beobachteten.
»Jetzt«, sagte Kassandra Karfax, »seht Ihr das Licht mit anderen Augen.«
Agata la Gataza, die das Herz von Malfuria war, hüllte sich in Schweigen. Sie sah bleich aus, ihre grauen Haare hingen müde herab.
Die Wand, die aus einem wirbelnden Strudel bunter Mosaikplättchen bestand, schloss sich mit einem Rascheln hinter den beiden Frauen. Sarita lauschte den wispernden Geräuschen des Sturms aus Rabenfedern. Alles hier war in Bewegung. Die Schatten schlummerten in den Lücken zwischen
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