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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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brauchen und Proviant.
    Das war alles.
    Einen Plan hingegen brauchte er nicht. Es war einfach, geradezu kinderleicht. Er würde in Richtung Marrakech zurückfliegen, geradewegs nach Nordwesten – und dort würde er der Dunkelheit begegnen.
    Rasch griff er nach einem Kanister mit Trinkwasser und nahm einen tiefen Schluck, bevor er ihn gewissenhaft unter dem hinteren Sitz des Pájaro verstaute.
    In einer Ecke stapelten sich einige Flaschen mit dem verbliebenen andalusischen Ölwasser. Jordi zögerte einen Moment, dann griff er nach einer von ihnen und legte sie in das Fluggefährt, genau zwischen die Pedale, mit denen man die Maschine in Gang setzte, die kaum mehr war als ein Stück Eisen mit vielen Schläuchen und schmalen Rohren.
    Er wollte gerade eine zweite Flasche holen, als Kamino in die Landebucht trat.
    Misstrauisch schaute sie von ihm auf den Pájaro.
    »Wie sieht’s draußen aus?«, fragte er hastig, bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, was er hier machte.
    »Nur Sand«, antwortete Kamino. »Wohin das Auge auch reicht, nur Sand. Dünen. Weite.« Sie trat einen Schritt vor. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. Ein schwacher Geruch von Minze streifte ihn.
    Jordi nickte. Dann schüttelte er den Kopf.
    Er setzte sich auf einen Stapel zerrissener Decken, die zu einem wüsten Haufen an einer Wand aufgetürmt waren, und vergrub sein Gesicht in den Händen.
    »Kannst du dich eine Weile zu mir setzen?«, fragte er schließlich. »Und nicht reden?«
    Sie musste lächeln, als sie sich neben ihm niederließ und die Beine kreuzte. »Ich denke, dass ich das schaffe.«
    Eine ganze Weile saßen sie so da.
    Doch irgendwann hob sie den Kopf. »Du willst den Pájaro nehmen, um sie zu suchen, nicht wahr?«
    Er nickte.
    »Das ist Wahnsinn«, flüsterte sie.
    »Ist das hier nicht alles Wahnsinn?«, fragte er zurück.
    »Ich verstehe es aber nicht«, begehrte sie auf und funkelte ihn an. »Wie kann irgendein Mensch auf der Welt so wichtig sein, dass man seinetwegen freiwillig in den Tod geht? Was habt ihr beide denn davon?«
    »Ich gehe nicht in den Tod«, sagte er.
    »Bist du dir da so sicher?«
    Er wollte etwas erwidern, das nicht nett war. Doch er tat es nicht.
    »Du bist ein Freund geworden«, flüsterte sie und strich sich über ihre Narbe, die das ganze Gesicht überzog, vom Mundwinkel bis zum Haaransatz. »Irgendetwas hast du verändert. Bei dir habe ich das erste Mal das Gefühl, dass sie . . .«, sie fuhr das feuerrote Mal entlang, ». . . dass sie einfach verschwunden wäre. Wie machst du das?«
    Jordi sah sie vorsichtig an. »Für mich ist sie verschwunden. Oder vielmehr – sie ist ein Teil von dir.« Er stockte. »Sie lässt dich lächeln.«
    Kamino senkte den Blick.
    Das Sprachrohr erwachte zum Leben.
    »Hey, Bootsmädchen, steckst du da unten?« Cortez’ Stimme klang frech und gutmütig. »Schwing deinen Hintern in den Maschinenraum.«
    Kamino hob den Kopf und musste lachen. »Wenigstens einer von uns wird sich nie ändern«, sagte sie und grinste, doch es war ein wehmütiges Grinsen.
    Jordi hielt sie auf. »Warte«, sagte er. »Warum tust du es nicht endlich? Warum sagst du ihm nicht, wie gern du ihn hast?«
    »Ich bin nicht so wie du.« Sie zögerte. »Ich habe Angst davor. Ich bewundere ihn, ja sicher. Aber liebe ich ihn wirklich? Was, wenn Santiago mich einfach auslacht? Du kennst ihn doch.«
    Jordi nickte. Er konnte sie verstehen. So hatte er sich früher auch gefühlt, als er noch mit seinem Vater in dem Leuchtturm gelebt hatte.
    Unentschlossen. Unsicher. Unzufrieden.
    Aber in der Zwischenzeit war etwas mit ihm geschehen. Er wusste, dass er nicht länger Zeit damit vergeuden wollte, seine Gefühle zu verheimlichen.
    »Tu es einfach«, sagte er.
    Kamino stand auf und streckte sich. Sie schaute in die Wüste hinaus. »Vielleicht mache ich es«, flüsterte sie. »Vielleicht . . . Ich sollte jetzt gehen.« Sie hielt kurz inne. »Danke«, sagte sie und Jordi kam es wie ein Abschied vor.
    Seufzend griff er zu einer der Decken und machte sich daran, sie im Pájaro zu verstauen. Es war nicht viel Platz in dem kleinen, engen Fluggerät, aber schließlich war er zufrieden.
    Zögernd blickte er auf die Landeluke und dann auf die Tür, unschlüssig, ob er Kopernikus und Makris in seinen Plan einweihen sollte. War es nicht viel besser, sich heimlich davonzustehlen? Kopernikus würde ihn nicht einfach so gehen lassen, da war er sich sicher.
    Andererseits – er scheute sich davor, die beiden so zurückzulassen, ohne

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