Die Koenigin der Schattenstadt
Haus?«
Gewiss, dies waren nur die Schatten von Büchern. Trotzdem! Ein Buch war ein Buch, daran gab es nichts zu rütteln. Die Schatten der Menschen lösten sich schließlich auch nicht auf.
Sie schritt den Gang hinab und blieb dann vor einem Regal stehen, das von einem Palmenzweig berührt wurde.
Zwischen einer Sammlung katalonischer Kurzgeschichten, die schon fast ganz zerfallen war, und einem Roman aus dem 19. Jahrhundert, der mehr als die Hälfte seiner Blätter und Buchstaben verloren hatte, stand das kleine Buch noch immer.
Es war ein Gedichtband, der lila gewesen war und jetzt, da sich alles veränderte, einen ungesunden dunklen Blauton angenommen hatte.
»Da bist du ja«, flüsterte Catalina und zog den kleinen Band behutsam aus dem Regal. Noch immer roch er nach Leim und frischer Tinte. Das Lesebändchen schlängelte sich zaghaft um ihr Handgelenk, als wüsste es nicht, ob das Mädchen, das hier stand, bei der Geburt des Büchleins dabei gewesen war oder nicht. »Du erkennst mich doch noch?«, fragte Catalina und lächelte, weil sie an Jordi dachte, mit dem sie in dem Haus der Nadeln an genau dieser Stelle gestanden hatte.
Sie öffnete das Buch und die dünnen kleinen Buchstaben, die sich darin versteckten, erwachten zum Leben. Sie formten Gedichte, wenn sie einen von ihnen berührte. Fast so, als redeten sie miteinander. Fast so, als wüssten sie noch, wer Catalina war.
Das Mädchen strich über das Papier und das Büchlein schenkte ihr ein Gedicht, in dem es um helle und schöne Dinge ging. Sie las die Zeilen und mit einem Mal waren die Lieder der singenden Stadt wieder greifbar.
Und je mehr sie an die Vergangenheit dachte, an all das Schöne, das sie erlebt hatte, desto länger wurde das Gedicht, das sich in dem Büchlein vor ihren Augen schrieb. Die Zeilen liefen und sprangen nur so über das Papier und wenn sie an eine Stelle kamen, die ein feuchter Fleck befallen hatte, dann formulierten sie einfach etwas, das sie in die andere Richtung lenkte.
»Ich muss wieder zurückkehren«, sagte Catalina zu dem Büchlein. »Ich kann heilen, was einmal verletzt wurde, das weiß ich jetzt.« Sie berührte die Buchstaben mit dem Finger, ganz zärtlich und sacht. »Aber ich kann nicht zeichnen, was ich nicht gesehen habe.« Sie betrachtete das Ende des letzten Gedichtes.
Die Buchstaben ordneten sich auf dem Papier um und das Gedicht, das die singende Stadt beschrieben hatte, begann sich zu verändern. Neue Worte bildeten sich.
Alles wurde anders.
Du bist Catalina, schrieb das Buch in schöner Schrift.
Ungläubig starrte das Mädchen auf das Blatt vor ihr. »Ja«, war alles, was sie sagte.
Du bist bei mir gewesen, als ich geboren wurde.
Wie könnte sie das vergessen. Sie hatte mit angesehen, wie das Buch den Kokon aufgebrochen hatte. Firnis hatte es ihr in die Hand gelegt und Catalina hatte es an diesen Platz hier gebracht. »Du kannst sprechen?«, fragte sie im Flüsterton.
Alle Bücher können sprechen. Hast du das nicht gewusst?
Sie kam sich töricht vor, die Frage überhaupt gestellt zu haben. »Aber warum?«, stammelte sie. »Warum kann ich dich verstehen? Ich kann Bücher sonst nicht verstehen.«
Das kleine Buch raschelte belustigt. Diejenigen, die Büchern das Leben schenken, die können sie auch verstehen. Die Seite flatterte unruhig, als sei ein Windstoß in sie gefahren, dann blätterte sie sich von allein um. Bücher reden miteinander. Wir wissen, was mit uns geschieht. Die Buchstaben tragen die Geschichten weiter.
»Hast du mich schon vorher verstanden?«
Das Buch raschelte erneut. Du musst in deine Welt zurück. Weil du etwas tun musst.
»Kennst du einen Weg?«
Das lila-blaue Buch blätterte einige Seiten weiter und schrieb: Es gibt einen Mann, der mit alten Büchern handelt, in einer Stadt namens Lisboa. Meist trifft man ihn auf den flüsternden Märkten an. Erneut blätterte das Buch eine Seite vor. Ein Unglück kam über die Stadt. Lebendige Schatten .
»Ich weiß«, sagte Catalina.
Einige der Buchstaben, die in seinen Büchern lebten, nahmen die Form von Schakalwesen an.
»Was heißt das?«
Die Buchstaben und das Papier , schrieb die schöne Schrift, sie können eine Pforte sein.
»Wie der Chafariz?«
Ich weiß nicht, was ein Chafariz ist.
»Eine Pforte, etwas in der Art«, sagte Catalina.
Manche Bücher erlauben es einem, durch sie hindurchzuschreiten, an fremde Orte und in ferne Städte.
»Du meinst, man kann mit den Buchstaben reisen?«, fragte Catalina. »Aber
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