Die Koenigin der Schattenstadt
war. »Kopernikus«, flüsterte er verloren.
Die Papierfrau lächelte und wendete sich dem Lichterjungen zu. »Jordi«, sagte sie. »Endlich!«
Der große Harlekin, der die ganze Zeit über regungslos dagestanden hatte, setzte sich in Bewegung und kam auf den Jungen zu. Die Leere in den Augenschlitzen ließ die Kälte nur erahnen, die sich hinter der harten Maske verbarg.
»Du hast sie gesucht, das Mädchen, oder?«, flüsterte die Papierfrau mit einem wohlwollenden sanften Knistern in der Stimme. »Du musst nur mit uns kommen, hinauf nach Malfuria.« Sie entblößte gelbe Zähne, die wie die Gemälde zerfallener Grabsteine aussahen. »Catalina Soleado wird bald hier sein.« Ein Papierauge zwinkerte ihm zu. »Du willst sie doch wiedersehen, oder etwa nicht?«
Jordi starrte sie nur an. Er dachte an das, was Kopernikus gesagt hatte, ganz zum Schluss. Und er verstand.
Dies hier war nicht der Plan, den er verfolgt hatte. Der Harlekin würde ihn nicht mit den Schatten infizieren. Nein, die Gestalt mit dem Grinsen in der weißen Maske würde ihn hinauf in den tosenden Sturm aus Rabenfedern bringen.
Er würde der Köder für Catalina sein, nichts weiter. Er würde nicht die Möglichkeit haben, ihr das zu sagen, was er wusste. Wie alles zusammenhing. Nichts, aber auch gar nichts von dem, was er sich erhofft hatte, würde passieren. Weil er es nicht in der Hand hatte.
»Nein!«, schrie er die Papierfrau an.
Dann sprang er nach vorne.
Ein kurzes Abstoßen genügte, sodass der Schwung ihn den steilen Abhang hinunterrutschen ließ. Er versuchte aufzustehen und fiel wieder hin, purzelte wie ein menschlicher Ball die Düne hinunter und kam irgendwann neben dem toten Silbermünzenmatrosen zum Liegen.
Der Harlekin verlor keine Zeit. In einer einzigen gleitenden Bewegung schwebte er die Düne hinab. Wie Wasser, wäre es aus Nacht gemacht.
Jordi rollte sich zur Seite. Er stieß gegen den Körper des Silberaugenmatrosen.
Die Sonne brach sich in den Münzaugen und Jordi dachte an Lisboa. Er sah die Flammen vor sich, die Fado Marizas Laden verschlangen, und jenes Feuer, das sich in der Silbermünze gespiegelt hatte, mit der er den Faden der Meduza durchtrennt hatte.
Er griff dem toten Matrosen ins Gesicht und pflückte die Silbermünzen aus seinen Augenhöhlen. Dahinter, das erkannte Jordi nur beiläufig, war nichts, nur Leere.
Er wendete den Blick ab und hielt die Silbermünzen fest in den Händen.
Keine Sekunde zu spät.
Der Harlekin war bei ihm, packte ihn und warf ihn in den Sand. Dann trat er erneut auf den Jungen zu und diesmal sprang Jordi auf und führte den Hieb mit den Silbermünzen aus, sodass die rechte Hand des Harlekins in den Sand fiel.
Die große Gestalt hielt kurz inne.
Sie schien zu überlegen, was jetzt zu tun sei. Womöglich hatte sie noch nie zuvor einen Menschen getroffen, der sich gewehrt hatte, wie Jordi es nun tat.
»Komm schon!«, schrie der Junge den Harlekin an.
Am Ende war die große Gestalt die einzige Möglichkeit, zu Catalina zu gelangen. Einen Weg zurück gab es nun nicht mehr. Jeder Ort auf der Welt war besser als dieser hier. Wenn er hierbliebe, dann wäre er nur der Köder, der Catalina ins Verderben locken würde.
Er schnitt dem Harlekin am Hals entlang und ein winziger Spritzer Finsternis troff dem Wesen aus den Augenschlitzen.
Jordi fragte sich, was es für ein Gefühl sein würde, zum Schatten zu werden. Er sah seinen eigenen Schatten, der flach im Sand lag und die Düne emporwaberte. Der Schatten hatte nie etwas anderes getan, als ihm treue Dienste zu leisten. Niemals hatte er sich gegen seinen Besitzer aufgelehnt. Niemals!
Die Papierfrau erschien hinter dem Harlekin. »Bring ihn nach Malfuria«, kreischte sie. »Er darf uns nicht entkommen.«
Schwer atmend stand Jordi im Sand. Ein lauwarmer Wind wehte ihm ums Gesicht und dann kam der Harlekin erneut auf ihn zu.
Jordi sprang ihn an und riss ihm die Maske vom Gesicht. Der Harlekin packte den Jungen mit der verbliebenen Hand am Hals, sodass Jordi die Luft wegblieb.
Er schlug mit den Silbermünzen nach der schattenhaften Leere hinter der Maske. Finsternis benetzte ihm wie Sirup die Finger. Ein zweites Mal drückte er die Silbermünzen in die kalte Dunkelheit hinein, in das Gesicht des Harlekins.
Sie blieben dort stecken.
Mit einem lauten, aufheulenden Zischen schleuderte der Harlekin den Jungen in den Sand. Dann taumelte er und begann sich langsam aufzulösen, nur seine Gewänder blieben übrig.
Jordi rieb sich die Augen,
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