Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
wie ein Spiegel. Ihre Mutter lebte, das war es, was zählte.
    »Du hast ihn gern«, stellte Sarita fest und deutete mit einem Kopfnicken auf den Jungen, neben dem Catalina im Sand kniete.
    »Was weißt du schon davon?«, fuhr das Mädchen Sarita an und erhob sich.
    Kassandra, die neben Sarita stand, grinste. Sie sah ganz anders aus als die grausige Papierfrau, der Catalina in Lisboa begegnet war. Dies hier war die richtige Kassandra Karfax, keine Kopie, kein Duplikat.
    Das Mädchen erkannte bleiche Haut zwischen den mit Nähten befestigten Flicken aus Papier, die den alten Körper zusammenhielten. Diese Frau war aus Fleisch und Blut und irgendwie hatte sie es mithilfe der Buchstaben tatsächlich geschafft, dem Altern die Stirn zu bieten.
    »Auch ich habe einmal geliebt«, antwortete Sarita Soleado, und wäre Catalina nicht so voll tiefroten Zorns gewesen, dann hätte sie vielleicht das Zittern in der Stimme ihrer Mutter erkannt. »Ich habe . . .«
    »Du hast Papa getötet«, schrie Catalina sie an. »Du hast es mir selbst gesagt. Du hast es einfach so hingenommen, dass er stirbt.« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Und all das nur wegen der blöden Karte, die du zeichnen musstest!« Die Bilder vom Tod ihres Vaters lebten auf, hier in der Wüste, an diesem Ort, der unendlich weit entfernt war von der Cala Silencio, wo das Unglück sich zugetragen hatte. »Er ist ertrunken«, sagte sie, jetzt leiser, verbittert, »wegen dir.« Wie oft hatten die Bilder sie in ihren Träumen heimgesucht. »Du trägst die Schuld daran, niemand sonst.« Sie sah sich um. »Und all das hier, Jordi . . .«, sie konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. »Das hast du erst in Gang gesetzt.«
    Sarita Soleado starrte ihre Tochter nur an. Catalina wollte in ihrem Blick lesen, versuchen zu verstehen, was ihre Mutter angetrieben hatte, dass sie ihre Tochter verraten hatte, dass sie all das Dunkle in ihr Leben gelassen hatte, doch sie konnte es nicht. Sie schaffte es einfach nicht, Sarita anzusehen.
    Stattdessen wirbelte sie herum und fixierte Kassandra, die sie belustigt musterte. Ihr Schatten stand neben ihr, er hatte einen Arm um Kassandra gelegt und schmiegte sich an sie.
    »Was wollt ihr von mir? Was habt ihr ihm angetan?« Sie schaute auf Jordi hinab. Nicht zu wissen, was hier vorgefallen war, machte sie rasend.
    »Ich bin La Sombría«, sagte die Schattenfrau und löste sich von Kassandra. Sie sah elegant aus, ein dunkles Abbild ihrer hellen Schwester. »Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen.« Es schien, als gleite sie über den Sand wie die Erinnerung an ein Gespenst aus tiefster Nacht.
    »Warum lebt Malfuria?«, fragte Catalina. Sie betrachtete den Sturm aus tosenden Rabenfedern, der am Himmel stand und wie eine Säule in die Höhe ragte.
    Die Frau, in deren Gesicht braune Pergamentfetzen klebten, auf denen sich windige Buchstaben wie Lügen schlängelten, schritt durch den Sand und gesellte sich zu ihrem Schatten. »Agata la Gataza sieht die Welt jetzt mit einem Herzen aus Schattenstaub. Sie sieht jetzt, wie schön die Schattenwelt ist, und sie weiß, dass sie dort glücklich sein kann. Ich konnte sie bekehren, könnte man sagen.« Sie lächelte. »Mit deiner Hilfe, mein Kind.«
    Catalina ballte die Fäuste. »Nennt mich nicht so«, fauchte sie.
    »Du warst eine folgsame Marionette«, stellte La Sombría fest.
    »Was wollt ihr von mir?«, fragte sie noch einmal.
    Es war Sarita, die sagte: »Du weißt, was unser Wunsch ist.«
    Catalina schüttelte den Kopf. »Ich werde es nicht tun!«
    »Du solltest nicht voreilig sein.«
    Die Galeone trieb leicht im sanften Wüstenwind. Ihr Schatten wanderte über den Sand und tauchte alles in ein Zwielicht aus Wärme und der bangen Erwartung einer langen Nacht.
    Kassandra Karfax beugte sich vor. Mit einem Mal erschien ein Lächeln auf ihren alten Lippen, das nicht herablassend oder spöttisch aussah, sondern gütig und weise. In ihrem Papierfetzengesicht fanden sich die Buchstaben zu wunderschönen dunklen Blüten zusammen und ihre Stimme brauste wie eine machtvolle Melodie, als sie nun sagte: »Du bist in der Stadt aus Nacht und Nirgendwo gewesen. Sag, hat es dir dort etwa gar nicht gefallen?« Sie beobachtete das Mädchen aus einem gezeichneten Auge aus schwarzer Tinte und aus einem, dessen Farbe sich fortwährend veränderte. »Weißt du noch, als der Rabenkater dich gefunden hat? Ihr seid mit der Gezeitengondel auf einem Kanal der Schattenstadt zur Sagrada Família gefahren. Deswegen haben

Weitere Kostenlose Bücher