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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schnappte nach Luft. An seinem Fuß kauerte ein Sandgeist, er trat danach. Kassandra Karfax, das wusste er, würde ihn nicht kriegen.
    Nein, jetzt nicht mehr!
    Die zerknitterte Papierfrau stand noch immer neben dem Harlekin, der langsam im Boden versickerte. Sie kam auf Jordi zu und ihr Gesicht begann sich langsam zu verändern. Durch einen Schleier aus Sand und Staub sah Jordi in Augen, die er nur zu gut kannte.
    Dann verwandelte sich die Papierfrau. Und Jordi wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte.

Scherbensplitter, überall
    Catalina Soleado stand in einer gleißend hellen Wüste unter einem Sturm aus Rabenfedern, den sie tot geglaubt hatte. Die Buchstaben, die sie hierhergeführt hatten, fielen von ihr ab und wurden im Sand zu Staub und das Papier, das ihr die Pforte gewesen war, trieb in kleinen Fetzen über die Dünen.
    Weit oben am blauen Himmel, gleich unter Malfuria, schwebte eine riesige schwarze Galeone und vor ihr, im heißen Sand der Düne, lag jemand, den sie vermisst hatte wie nie einen Menschen zuvor.
    »Jordi!« Sie stürzte auf den Lichterjungen zu, der regungslos auf dem Rücken lag, mitten im Schatten der fliegenden Galeone.
    Catalina kniete sich neben ihn. Er hatte die Augen geschlossen, atmete aber.
    Sie packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn kräftig. »Jordi, was ist passiert?«
    Er rührte sich nicht.
    Sie musterte ihn bestürzt. Er sah so friedlich aus, als sei er in einen tiefen Schlaf gefallen. Ernsthafte Verletzungen wies er keine auf, soweit sie das beurteilen konnte, abgesehen von den vielen Schürfwunden und Kratzern, die seine Arme, den Hals und das Gesicht bedeckten.
    Vorsichtig berührte sie sein dunkles, struppiges Haar. Sie konnte sich an den Geruch erinnern, er hatte sich überhaupt nicht verändert, war nur ein klein wenig staubiger geworden.
    Sie musste an ihre letzten Begegnungen denken, an die flüsternden Märkte und die Brücke in der singenden Stadt. An seine Augen aus Mokka, die jetzt fest geschlossen waren.
    So vieles war schiefgegangen, doch nun war sie wieder bei ihm, sie waren zusammen, wenn auch nur in diesem gleißenden Glutofen.
    Catalina schaute zu Malfuria hinauf, zur Galeone, zu den Trümmern, die einmal ein Fluggerät gewesen sein mochten, und fragte sich, was dies für ein Ort war. Eine Wüste, natürlich, doch wo genau befanden sie sich?
    Drüben am Horizont brannte ein Feuer, dessen Flammen so hoch schlugen, dass sie fast schon die Sonne zu kitzeln schienen. Brannte dort eine Stadt? Etwas anderes? Sie wusste es nicht.
    Aber es kümmerte sie auch nicht weiter.
    Die Buchstaben hatten sie in diese Wüstenei gebracht. Und Jordi Marí war hier, das war es, was zählte. Sie hatte ihn wieder und sie fühlte sich stark genug, um es von nun an mit jeder fliegenden Galeone der Welt oder dem, was sonst noch auf sie zukommen mochte, aufzunehmen.
    Ein neuer tiefschwarzer Schatten legte sich über das Mädchen, ganz plötzlich, und Catalina fuhr herum.
    »Endlich«, hörte sie eine Stimme hinter sich sagen, die wie verbranntes Papier im allerletzten Sonnenuntergang des Herbstes klang, »endlich sehen wir uns wieder.«
    Catalina kannte die Stimme wie ihre eigene, doch sie hätte nie geglaubt, sie in diesem Leben noch einmal zu hören.
    Sarita Soleado war nicht allein.
    Neben Catalinas Mutter standen zwei Frauen, die eine wie Fleisch und Papier, die andere wie ein Schatten.
    »Du hast den Weg hierher gefunden«, sagte Sarita. Ihre grünen Augen flackerten zögerlich auf, nur einen Sekundenbruchteil lang, und Catalina schoss durch den Kopf, dass sie nicht viel anders aussah als zu jener Zeit, als sie ihre Tochter nach Barcelona gebracht hatte, zum Kartenmacher Màrquez.
    Doch Catalina sah in ihr nicht länger die Mutter, die sie in der Cala Silencio aufgezogen hatte. Nach dem, was sie in der Sagrada Família erlebt hatte, war Sarita eine Fremde, jemand, der Böses tat und dabei vor nichts zurückschreckte.
    »Du lebst?« Erst jetzt wurde sie sich bewusst, dass sie tief in ihrem Herzen geglaubt hatte, dass Sarita gestorben war. Jemand, der in diesem Inferno gewesen war, musste einfach umgekommen sein.
    Und im gleichen Moment wurde ihr klar, dass sie nicht ein einziges Mal um sie getrauert hatte, nein, nicht wirklich, und sie fragte sich, ob sie das zu einem ähnlich schlechten Menschen machte, wie Sarita, zumindest in ihren Augen, einer war.
    Catalina verscheuchte diese Gedanken. Sie führten zu nichts. Sarita Soleado war hier und ihr Gesicht war für Catalina

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